taz.de -- Kommentar S21-Prozess eingestellt: Gedankenlose Befehlsempfänger

Zuletzt wurde der S21-Prozess immer interessanter – bis ihn die Richterin einstellte. Nun bleibt die Frage: Wird der ehemalige Polizeipräsident angeklagt?
Bild: Hunderte Schwerverletzte. Und keiner ist es gewesen?

Sie haben getan, was ihnen angewiesen wurde: Schlosspark räumen um jeden Preis. Die Polizei ist eine hierarchische Organisation. Sich aufzulehnen braucht Mut. Den hatten die beiden Angeklagten nicht.

Die Richter hätten zwar weitere Ansatzpunkte finden können, den beiden Einsatzabschnittsleitern mehr als nur „geringe Schuld“ nachzuweisen. Die Polizisten hätten dem sogenannten Führungsstab zurückmelden müssen, welche Eskalation sie sahen. Das Gericht hätte weiter herausfinden können, wann die Angeklagten von Schwerverletzten erfahren haben. Der Leiter der Sanitäter, der Hunderte Verletzte behandelt hat und mehrere Rettungswagen gerufen hatte, wurde aber gar nicht als Zeuge gehört.

Warum die bislang so gründliche Richterin zu einem Zeitpunkt, da der Prozess immer interessanter zu werden versprach, nicht dranbleibt, sondern das Verfahren lieber einstellt, ist eines der großen Fragezeichen der Entscheidung. Bei den S-21-Gegnern schießen die Spekulationen ins Kraut.

Die spannende Frage bleibt: Kommt es zu einer Anklage gegen den ehemaligen Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf? Noch laufen die Ermittlungen. Im Fall eines Prozesses würde die Schuldfrage auf höchster Hierarchieebene geklärt.

Wer war schuld an den vielen Verletzungen? Wer trägt die Verantwortung, die untere oder die obere Hierarchieebene? Offenbar braucht die Polizei zur Klärung dieser schwierigen Frage die Hilfe eines Gerichts.

Sollten die Ermittlungen gegen Stumpf aber im Sande verlaufen, wäre das eine Bankrotterklärung der Staatsanwaltschaft in der juristischen Aufarbeitung des „schwarzen Donnerstags“. Und es bliebe der beunruhigende Eindruck haften, dass die Polizei nicht mehr ist als ein Haufen gedankenloser Befehlsempfänger.

26 Nov 2014

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Lena Müssigmann

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