taz.de -- Kolumne Luft und Liebe: Alle nackt, aber wirklich alle

Kein „Page Three Girl“ mehr? Die Brüste der britischen „Sun“ ziehen ins Internet. Das ist asozial und unlogisch.
Bild: Das ist doch mal 'ne Botschaft.

Das klang fast zu schön, um wahr zu sein: Die englische Boulevardzeitung The Sun schafft das nackte „[1][Page Three Girl]“ ab. Nach 45 Jahren. Kritik an den Fotos hatte es immer schon gegeben, in den letzten Jahren war sie aber stärker geworden. Die Kampagne [2][„No more Page Three“] forderte die Sun seit 2012 auf, die Brüstebilder nicht mehr zu drucken: Sie seien sexistisch, zu sehr last century und irgendwie auch nicht kindertauglich.

„Because boobs aren’t news“ ist einer der Sprüche von „No more Page Three“: „Weil Brüste keine Nachrichten sind“. Die entsprechende Petition erhielt viel Unterstützung, 217.000 Menschen unterschrieben sie. Und irgendwann erklärte dann kürzlich Sun-Eigentümer Rupert Murdoch, die Kritik könnte schon irgendwie berechtigt sein, er werde darüber nachdenken.

Nun hat Murdoch offenbar nachgedacht. Am Montag trug das „Girl“ schwarze Unterwäsche, und die Frauen am Dienstag hatten [3][Bikinis an]. Große Freude bei den „No more Page Three“-Aktivistinnen, und Bestürzung in den deutschen Medien: „Das ist, als würde die Süddeutsche ihr Streiflicht oder die FAZ ihren Leitartikel abschaffen“, wimmerte [4][Spiegel Online], [5][und das Handelsblatt] wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, schrieb „Bye, bye Sonnenschein“, und ganz ehrfürchtig: „Auf der Insel sind die ’Page 3‘-Mädchen in den täglich 2,9 Millionen Ausgaben des Boulevardblattes und ihre meist stattlichen Oberweiten nationale Institutionen.“ Buhuhu! Staatstragende Wichsvorlagen, Wahnsinn.

In Deutschland gibt es eine ähnliche Kampagne gegen die Bild-Zeitung und ihr „Bild-Girl“. [6][Die Petition] wurde initiiert von Kristina Lunz, einer Studentin, und hat bisher 32.600 Unterschriften.

Fast geklappt

Erst vor ein paar Wochen hatte Kristina mir geschrieben und gefragt, was ich von ihrer Petition halte, und meine Antwort war so ungefähr „Jo, find ich gut, aber bisschen naiv auch, ich glaub, die ändern das eh nicht, guck mal [7][Focus und Spiegel und so], auch alle mit nackten Frauen, aber trotzdem gut, hab unterschrieben, viele Grüße, hau rein.“ Tja, selber naiv, Frau Stokowski, in England hat das jetzt geklappt.

Also fast. Denn die kleine, feine Fußnote zu der Änderung bei der Sun ist: Es gibt die nackten Frauen immer noch – die Brüste sind einfach ins Netz gewandert. Die Titten des Tages (von „Lucy aus London“ oder „Lissy aus Manchester“) kann man sich bei der Sun [8][online] kostenlos angucken, für die anderen braucht man einen bezahlten Account.

Wie ungerecht! Brüste nur für Leute mit Geld – das ist richtig asozial. Brüste gehören zu den schönsten Körperteilen, die es gibt. Lasst die Leute sich doch alle ausziehen! Aber mit Betonung auf „alle“: Für jede nackte Frau einen nackten Mann. In unseren kaputten Hirnen haben Frauen automatisch weniger an als Männer, obwohl sie oft schneller frieren. Unlogisch.

Von mir aus kann man die ganze Sun mit nackten Leuten vollmachen. Weniger Platz für dumme Artikel. Damit es spannend bleibt, kann man in den Texten daneben die Männer nach ihren besten Tortenrezepten fragen und die Frauen nach ihren Lieblingsraketen. Wär doch wunderschön.

Nachtrag: Offenbar gibt es heute doch wieder Brüste in der [9][gedruckten Sun]. Ohne Männer, ohne Torte, ohne Raketen. Aus uninformierten Kreisen wird berichtet, das Risiko, Großbritannien würde ohne die Page Three Girls in einem gigantischen Rumms in sich zusammenkrachen, wolle man nicht eingehen.

22 Jan 2015

LINKS

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Page_Three_girl
[2] http://nomorepage3.org/
[3] http://www.independent.co.uk/news/uk/no-more-page-three-whats-in-the-sun-this-morning-9989262.html
[4] http://www.spiegel.de/panorama/sun-rupert-murdoch-schafft-nackte-page-three-girls-ab-a-1013867.html
[5] http://www.handelsblatt.com/panorama/aus-aller-welt/zeitung-britische-sun-streicht-die-nackten-brueste-seite-all/11253922-all.html
[6] http://www.change.org/p/zeigt-allen-respekt-schafft-das-bild-girl-ab-bildsexism-bild-de
[7] /!145774/
[8] http://www.thesun.co.uk/sol/homepage/page3/
[9] http://twitter.com/TheSunNewspaper/status/558162156454445056

AUTOREN

Margarete Stokowski

TAGS

Brüste
Luft und Liebe
Rupert Murdoch
Sex
Klickzahlen
Fifty Shades of Grey
Schönheitsideale
Schwerpunkt Pegida
Papst Franziskus
Sex
Luft und Liebe
Luft und Liebe
Luft und Liebe
Luft und Liebe

ARTIKEL ZUM THEMA

Medienmogul Rupert Murdoch: Wer zuletzt lacht

Rupert Murdoch drohte nach dem Abhörskandal zu stürzen, doch er überstand das Beben. Sein Imperium ist dazu noch dynastisch abgesichert.

Kolumne Luft und Liebe: Klick, pling, ficken

„Feministin“ klingt „ungebumst“, findet Carolin Kebekus. Ein Klassiker! Man hört immer wieder, dass Feministinnen keinen Sex haben. Haha. Hahahaha.

Kolumne Luft und Liebe: Plötzlich wird das Weiche hart

Quälinstrumente, Survival Sex, Wichsvorlagen und Viagra: Wenn es ums Geld geht, werden die schmodderigen Themen schnell hart.

Kolumne Luft und Liebe: Im Recht, am Arsch

Das Sexualstrafrecht ist okay, sagt ein Bundesrichter. Wie aber sollen sich Frauen wehren, denen das Kämpfen abtrainiert wurde?

Cindy Crawford ohne Photoshop: Spuren der Zeit

Im Netz ist ein unretuschiertes Foto von Cindy Crawford aufgetaucht. Es wird als Statement gegen den Jugendwahn gefeiert.

Kolumne Luft und Liebe: Resteficken bei Pegida

Verliebt euch, Pegida-People! Euer anderes Projekt ist gescheitert. Seid nicht so streng mit euch, seid mehr wie Häschen. Ein Aufruf.

Die Woche: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

Bachmanns Hitler-Post, des Vermieters Toiletten-Fantasien und das Aus der Fernsehpreis-Aftershow-Party.

Kolumne Luft und Liebe: Keine Frage des Pimperns

Prinz Andrew und Bill Cosby wird Vergewaltigung vorgeworfen. Warum die Rede von „Sex-Skandalen“ und „Sex-Vorwürfen“ sehr falsch ist.

Kolumne Luft und Liebe: Nackt einparken in der Wortwolke

Zum Jahresende wird unsere Autorin besinnlich und schmökert im Duden. Sie sucht den Genderwahn und wird nicht fündig.

Kolumne Luft und Liebe: Kampfplatz mit Brüsten

Sorry, Frauen, euer Körper gehört euch nicht. Ob angezogen, ob nackt: Es ist unwahrscheinlich, dass ihr mit ihm das Richtige tut.

Kolumne Luft und Liebe: Dieser schwule Schnickschnack

Es braucht keine „Pick-up-Artists“, wenn es um Gender-Stereotype geht. Fragen Sie einfach mal Berliner Oberstufenschüler.

Kolumne Luft und Liebe: Emanzen, die nackt tanzen

Die „Emma“ will für Frauensolidarität stehen und bekommt Kloppe auf Twitter. Da ist mancher Teebeutel schon weiter.