taz.de -- Fähigkeiten von KI: Warum ich keine Angst mehr vor künstlicher Intelligenz habe

Künstliche Intelligenz würde unser aller Leben komplett verändern, heißt es. Von der KI-Revolution ist allerdings noch nicht so viel zu spüren.
Bild: Besser als jede KI: Foto-Retuscheur im Jahr 1914, Photoshop war noch nicht erfunden

Ständig ärgere ich mich über künstliche Intelligenzen. Erst vergangene Woche wollte ich ein Bild retuschieren und dachte: Ich lebe doch im Jahr 2025, das wird sicherlich irgendeine KI können. Pustekuchen, die Ergebnisse waren beschissen. Ganz grob konnte sie zwar das Bild verändern, aber da, wo sie präzise werden sollte, scheiterte die KI. Dabei liegt im Detail gerade der Witz.

Vor drei Jahren noch, als 2022 ChatGPT das Licht der Welt erblickte, hieß es: Künstliche Intelligenz könne bald alles. Die großen Versprechen des Silicon Valley faszinierten und [1][besorgten mich zugleich]. Was würde mit unserer Gesellschaft passieren? Würden alle von heute auf morgen ihre Jobs verlieren, weil die KI sie übernehmen würde? Wie sähe das mit meiner Arbeit als Software-Engineer*in aus?

Der Status quo präsentiert sich ganz anders. Heute gibt es im Internet unzählige Services mit dem Versprechen „KI löst Problem XYZ“. Nur nimmt keiner von ihnen reale Arbeit ab. Es gibt eine riesige Industrie für Bullshit-KI-Tools, die einem gegen Bezahlung etwa Grafiken und Logos erstellen oder Bilder verbessern sollen. Ihre Ergebnisse sind, wenn man sie mit echten Daten füttert, bestenfalls ganz nett und schlimmstenfalls eine Katastrophe.

KI scheitert in den Details

Selbst, wenn die KI ganz gut funktioniert, folgt sie maximal dem 95-Prozent-Optimierungsproblem: 95 Prozent kann sie lösen, aber für die restlichen 5 Prozent braucht sie so viel Unterstützung, als würde man die Aufgabe von Anfang an selbst übernehmen.

Und 95 Prozent reichen nicht. Meint irgendjemand, ich könnte diese Kolumne mit einer KI schreiben? Klar könnte ich – aber dann wäre das ein seelenloser Text, dem man bei genauer Betrachtung eben [2][anmerkt, dass er die typischen KI-Formulierungen enthält]. Da mache ich es lieber selbst. Und besser.

Dieser Eindruck ist kein Einzelfall. Adobe kündigte vergangenes Jahr neue „AI Features“ an, und was kam? Ein Plug-in, um [3][mit einer KI Bilder im Adobe-Programm Photoshop zu generieren]. Währenddessen hat man das ähnliche Dall-E-Feature bei Open AI schon wieder eingestampft. Und auch Apple versprach ein großes KI-Update, aber was kann ich jetzt auf meinem iPhone? Mittelmäßige Bilder generieren und ein wenig bessere Textbausteine in meine E-Mails einfügen. Währenddessen macht die hauseigene Diktierfunktion von Apple nach wie vor aus meinen gesprochenen Sätzen die wildesten Wortneuschöpfungen.

Von der KI-Revolution ist bisher noch nicht so viel zu sehen. Dabei ist die Technologie nicht nur Bullshit. Meine Arbeit hat sie stark verändert. Wenn ich Software entwickle, bin ich mittlerweile vollkommen abhängig von „GitHub Copilot“. Das ist eine KI-basierte Erweiterung, die Vorschläge macht, was als Nächstes kommen könnte. Durch sie hat sich mein gesamter Codingstil bereits so angepasst, dass ich Code gar nicht mehr zu Ende tippe – ich denke ihn nur noch und warte darauf, dass die KI mir meine Gedanken vorschlägt und ich sie bestätigen kann.

Damit arbeite ich jetzt etwa dreimal so schnell wie zuvor. Logisch, dass es hier besser läuft: Programmcode ist schließlich eine sehr formale Sprache, anders als kreative Leistungen.

Auch mein Suchverhalten hat sich geändert. Ich google immer seltener und frage immer öfter die Claude-AI. Aber es scheint, als wären all diese KI-Tools ohne mich, den Menschen, der sie nutzt und einordnet, aufgeschmissen. Angst davor, dass KI mich in meiner Arbeit ersetzen könnte, habe ich deshalb nicht mehr. Denn auch hier bleibt das 95-Prozent-Optimierungsproblem. Ich benutze die KI und nicht umgekehrt.

6 Aug 2025

LINKS

[1] /Entwicklung-von-KI-/!6098840
[2] /Das-Ende-einer-KI-Kolumne/!6001264
[3] /Europaeische-KI-Verordnung/!6100435

AUTOREN

Elya Maurice Conrad

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