taz.de -- Analyse zur Waffenruhe in Gaza: Ein Durchbruch, aber noch kein Frieden
Wird der Waffenstillstand für Gaza von Dauer sein? Wird die Hamas ihrer Entwaffnung zustimmen? Und wer soll Gaza regieren? Viele Fragen bleiben offen.
Kairo taz | Ein historischer Tag heißt es allerorten: Die erste Phase des Trumpschen Gaza-Friedensplans wurde von allen Seiten abgezeichnet. Und zweifelsohne ist die Einigung ein Durchbruch, wenngleich noch alles andere als ein wirklicher Friedensschluss. Nun muss die Hamas innerhalb von 72 Stunden die Geiseln freilassen. Dieser Schritt wiederum soll von einem ersten israelischen Teilrückzug begleitet werden. Im Gegenzug sollen 2.000 Palästinenser aus israelischen Gefängnissen freigelassen werden. Zusätzlich sollen die Hilfslieferungen in den Gazastreifen in großem Umfang und organisiert von der UNO wieder aufgenommen werden. Die Rede ist von mindestens 500 Lkws am Tag. Das ist in etwa das Volumen, das Gaza vor Kriegsbeginn täglich erreichte.
Doch selbst in dieser nun vereinbarten ersten Phase – die Billigung durch das israelische Kabinett stand zu Redaktionsschluss noch aus – kann noch einiges schiefgehen. Die Menschen wollen wieder so schnell wie möglich zurück in ihre Häuser in Gaza-Stadt oder dem, was davon übrig ist. Die israelische Armee warnt die Palästinenser dagegen vor dieser Rückkehr, solange sie rund um die Stadt noch präsent ist. Das hat das Potenzial, leicht außer Kontrolle zu geraten.
Auch die Suche nach einigen der Leichen der israelischen Geiseln dürfte sich nicht einfach gestalten. Ein Grund, warum inzwischen von einer türkisch-katarisch-ägyptischen sowie amerikanischen Taskforce die Rede ist, die bei der Suche der Leichen helfen soll. Ein anderes Thema sind die Namen der freizulassenden Palästinenser, über die bis zuletzt gestritten wurde. Laut einigen Berichten wurde der Deal gar verkündet, ohne dass diese Frage endgültig geklärt war.
Eine der Forderungen der Hamas war es gewesen, [1][Marwan Barghouti] freizulassen. Der gehört zwar der konkurrierenden Fatah-Organisation an, aber er gilt als eine Führungsfigur, der sogar einem palästinensischen Staat vorstehen könnte. Bisher ist nicht klar, ob Barghouti, der zu einer mehrfach lebenslängliche Strafe verurteilt wurde, aus dem israelischen Gefängnis freigelassen wird. Barghoutis Frau Fadwa al-Barghouti soll auch in Scharm al-Scheich präsent sein, wo die Verhandlungen geführt werden, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen.
Das entspräche ganz der weiteren Verhandlungslinie der Hamas, die argumentiert, dass sie bei den weiteren Runden nicht allein über die Zukunft Gaza mitbestimmen will. Vielmehr will man eine breitere palästinensische Basis einbeziehen, sprich die Fatah und auch die palästinensische Autonomiebehörde. Und da sind wir auch bereits da, wo es wieder wirklich kompliziert wird.
Denn die wirklich kontroversen Themen sind für die weiteren Verhandlungen aufgespart. Und viele Palästinenser fürchten, dass man bei diesen strittigen Punkten gar nicht mehr anlangt, wenn die Geiseln erst einmal freigelassen sind und der israelische Premier Benjamin Netanjahu erneut eine Offensive auf Gaza starten könnte, um sein wichtigstes Kriegsziel zu erreichen: die Hamas auszuschalten.
Das Projekt eines „Gaza-Friedensrats“
Drei große Fragen gibt es also jetzt: Wird das alles so klappen, was für die erste Phase ausgemacht ist? Wird der Waffenstillstand von Dauer sein? Und schließlich, was geschieht in den weiteren Verhandlungen mit den vielen offenen Fragen über die Zukunft Gazas als Nächstes? Bei den weiteren Verhandlungen soll es um die Entwaffnung der Hamas gehen und die Frage, wer den Gazastreifen regiert, nachdem die Hamas bereits zugestimmt hat, die Verwaltung des Streifens aufzugeben. Denn hier ist im Trump-Plan von einem fast kolonial anmutenden Projekt eines „Gaza-Friedensrats“ die Rede: einer Art Aufsichtsrat unter dem Vorsitz Donald Trumps und einem Generaldirektor namens Tony Blair, dem britischen Ex-Premier. Wie dieser „Friedens-Rat“ angelegt sein soll, wie lange er im Zweifel bestehen soll, das wird einer der großen Streitpunkte werden.
Die arabischen Vermittler wie Katar und Ägypten und auch die Türkei haben klar gemacht: Sie wollen, dass die Macht so schnell wie möglich an palästinensische Technokraten und dann an die palästinensische Autonomiebehörde übergeben werden soll. Sie wollen nicht, dass sich in Gaza und im Westjordanland zwei völlig unterschiedliche Regierungsformen entwickeln. Denn nach ihrer Vorstellung soll das Ganze, wie im Trump-Plan allerdings nur sehr vage formuliert, in einen palästinensischen Staat münden. Und den gibt es nach der Vorstellung der Palästinenser und der arabischen Vermittler nur zusammen mit dem Westjordanland und Ostjerusalem.
Netanjahu lehnt einen solchen Palästinenserstaat vehement ab. Und die Hamas lehnt ab, sich entwaffnen zu lassen, solange es einen solchen Staat nicht gibt. Insofern ist der jetzige Durchbruch tatsächlich einer, aber es ist eben auch nur der Anfang, ein historischer zwar, aber eben auch einer, der selbst schnell wieder zur Geschichte werden könnte.
9 Oct 2025
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