taz.de -- Die Wahrheit: Kontrolle ohne Handschellen

In eine Fahrkartenkontrolle zu geraten, ist nie angenehm, aber wenn das volle Programm der Kontrolleure droht, bricht der Schweiß aus.

„In solchen Fällen immer das volle Programm“, sagte der altgediente Kontrolleur zu seinem Azubi, nachdem mich die beiden Herren im Gang des Regionalzugs lautstark und unmissverständlich zum sofortigen Vorzeigen meines Fahrausweises aufgefordert hatten. Weil ich nicht genau kapierte, was der ältere Bahn-Mitarbeiter mit „solchen Fällen“ meinte, fragte ich, während ich in meinem Smartphone hektisch nach dem digitalen Ticket suchte, höflich nach, ob ich denn „verdächtig“ sei und womöglich wie ein gemeiner Schwarzfahrer aussehe.

„Allerdings sehen Sie so aus“, sagte der graumelierte Uniformträger, der optisch eine Mischung aus [1][Sky Dumont] und Klaus Kinski war, ohne jeden Anflug von Humor. Ich sei sogar „höchst verdächtig“, meinte er und blickte mich mit kalten Augen sehr böse an. Und zwar hätte ich vor etwa einer Minute eine Toilette verlassen und sei daraufhin sofort unauffällig in einen anderen Wagen geschlichen, um dort erneut in einer Toilette zu verschwinden. So ein merkwürdiges Verhalten sei „keineswegs normal“ und absolut „typisch für Schwarzfahrer“ und deshalb würde ich nun einer ausgiebigen Kontrolle unterzogen.

Ich erklärte dem gnadenlosen Kontrolleur, dass die erste Toilette leider so ausgesehen habe, als hätten sich in ihr kurz zuvor zwanzig volltrunkene Fußball-Hooligans zum fröhlichen Beisammensein nach einem Auswärtsspiel getroffen. Deshalb hätte ich es vorgezogen, lieber eine andere stille Örtlichkeit aufzusuchen. Ob er das denn nicht verstehen könne?

„Nein!“, sagte er und herrschte mich an: „Sie können mir viel erzählen, das interessiert mich alles nicht.“ Dann befahl er seinem inzwischen etwas nervös wirkenden Azubi-Kollegen, sich von mir nicht nur das Ticket, sondern auch die Bahncard und notfalls weitere Ausweispapiere zeigen zu lassen. Zudem wollte er wissen, von wo nach wo ich überhaupt zu fahren gedenke und ob ich oft auf dieser Strecke unterwegs sei.

Inzwischen durchsuchte ich weiterhin angespannt mein Smartphone nach diesem verdammten digitalen Ticket. Erschwert wurde die Suche durch die Tatsache, dass es im Zug offensichtlich keinerlei Handynetz gab und ich langsam echt ins Schwitzen kam. Endlich hatte ich diesen vermaledeiten Fahrausweis gefunden und zeigte ihn dem Nachwuchs-Schaffner, der so aussah, als hätte er ein bisschen Mitleid mit mir.

„Meine Geburtsurkunde, mein polizeiliches Führungszeugnis und meine Schufa-Auskunft habe ich aber leider nicht dabei“, sagte ich mit einem leichten Anflug von Sarkasmus und wartete nun darauf, entweder in den Schwitzkasten genommen oder direkt auf den Boden gedrückt, gefesselt, verhaftet oder aus dem fahrenden Zug hinausgeworfen zu werden. Stattdessen trollten sich die beiden grußlos und ließen mich einfach stehen. Wahrscheinlich hatte der schusslige Azubi vor Dienstantritt nur vergessen, die Handschellen einzupacken.

12 Jun 2025

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Wolfgang Weber

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