taz.de -- berliner szenen: Yuppie aus Westdeutschland

Vor dem Sparkassen-Automaten am Gesundbrunnen-Center gab es eine Schlange. Als ich den Kopf von meinem Handydisplay hob, hatten sich zwei junge Männer vor mir eingereiht. „Nichts für ungut, Jungs“, sagte ich, „aber ich stehe hier auch an.“ Sie drehten sich um. Sternburger-Pils, Fußballschals und mit männlichem Stolz getragene Flaumbärte. „Geh doch drinnen Geld abheben“, sagte der Größere von beide und grinste mich an. Sie waren offensichtlich aufs Pöbeln aus. Da sei aber auch eine Schlange, sagte ich. Außerdem sei ich zuerst hier gewesen.

Dann baute sich der Große vor mir auf. Der Kleine zog an seiner E-Zigarette, wie ein Kinobesucher in sein Popcorn greift. Es roch nach Apple Peach. Als der Große den Mund öffnete, auch nach Essiggurke und Ketchup. „Ick lass mir von so nem Yuppie in meiner Stadt überhaupt nichts vorschreiben“, sagte er, „geh doch in Westdeutschland Geld abheben!“ Der Kleine sagte zum Großen, er solle es gut sein lassen. Ich sagte erst mal gar nichts. Yuppie. Westdeutschland. Geäußert von einem Neunzehnjährigen, der meine „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“-Logik kurzerhand umgedreht hatte: Ich stand vielleicht zuerst vor dem Automaten, aber er war zuerst in Berlin.

Die beiden diskutierten untereinander weiter: Komm, wir gehen! Nein, der Scheißyuppie hat hier nichts zu melden! Ich fühlte mich an „Kevin allein zu Haus“ und die beiden etwas unterbelichteten, aber irgendwie liebenswürdigen Ganoven erinnert. Irgendwann gingen sie tatsächlich. Und dann steckte ich meine Karte in den Automaten, der reiche westdeutsche Yuppie, der einen Zwanziger abhebt, um ein über Ebay-Kleinanzeigen auf 35 Euro runtergehandeltes Ikea-Regal abzuholen und anschließend mit den sperrigen Seitenteilen in der U-Bahn-Tür stecken zu bleiben.

Robert Schwerdtfeger

5 Nov 2024

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Robert Schwerdtfeger

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