taz.de -- TV-Doku über die Nationalelf: Wir tun mal so, als ob
Die DFB-Auswahl tritt gegen Japan und Frankreich an. Kurz zuvor erscheint eine Doku über das Scheitern in Katar. Und einen aufgewühlten Hansi Flick.
„All or Nothing“ ist kein schlechter Titel für diese Doku über das deutsche Katar-Abenteuer, denn in der Wüste klappte schließlich: nichts. „Mir brodelt’s, könnt kotzen“, sagt [1][Oliver Bierhoff] in der Amazon-Produktion. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen war Bierhoff noch Geschäftsführer Nationalmannschaften und Akademie der DFB GmbH & Co. KG, also eine ganz große Nummer im größten Sportverband der Welt.
Ihm zuzusehen, wie er vor der Mannschaft in einem Konferenzraum des Luxusresorts Zulal im menschenleeren katarischen Norden eine Philippika hält und die Spieler sich in einer Mischung aus Beschämung und Genervtsein in die Stühle drücken, hat einen gewissen sporthistorischen Wert. Es markiert das Ende einer Ära. Das hat eine tragische Note, denn Bierhoff reitet ein totes Pferd, glaubt aber, immer noch auf einem Vollblüter zu sitzen. Cringe.
Dieses merkwürdige Angekränkeltsein zieht sich wie ein roter Faden durch diese Dokumentation. Solche Bilder werden ja bei Großereignissen in der Hoffnung aufgenommen, man könnte den ganz großen Wurf aufzeichnen, man sei Archivar eines Fußballwunders. Das klappt manchmal, meistens nicht. Und hier wird nichts Mirakulöses in die Speicherkarten gedrückt, sondern nur der Muff einer Abnutzung. Ja, es wird wie üblich motivationsgeredet und positivgequatscht, aber hinter der Fassade des Althergebrachten lauert eben deutlich der Überdruss.
Die Spieler stanzeln gelangweilt herum, der ummauerte Trainingsplatz wirkt wie das Freigängerareal auf Alcatraz, und in einer Szene fragt Serge Gnabry: „Wer fährt hierher?“ Er meint die Irgendwo-im-Nirgendwo-Absteige.
Die Scheininszenierung
So verfestigt sich der Eindruck eines So-tun-als-ob, einer Scheininszenierung: Wir machen es wie immer, wird schon irgendwie klappen. Wir reisen im feinsten Eskapismus in ein scheißteures Wellness-Hotel in der totalen Einöde (Hej, Campo-Feeling!), lassen den Teampsychologen ein Video mit Graugänsen (ohne Schmäh!) abspulen, lassen den armen und doch recht hilflos wirkenden Bundestrainer [2][Hansi Flick] alte Sprüche von [3][Jogi Löw] aufsagen („Was nützt dir eine Kuh, die am Tag zehn Liter Milch gibt und am Abend den Eimer mit dem Schwanz umhaut“) – und dieses Politgedöns kriegen wir schon irgendwie in den Griff, wär doch gelacht.
Außerdem: Die Stimmung in der Truppe ist dufte, fast alle haben Erfahrung in der Champions League. Das ist: Niedergang im Fünf-Sterne-Ambiente, Realitätsverweigerung im großen Stil, Selbstsuggestion als Extremsport.
Angeblich herrsche, hört man den DFB-Taktikexperten Stephan „Noppi“ Nopp im Film sagen, eine ganz tolle Fehlerkultur im Team, aber die rosa Elefanten im Raum will offenbar niemand sehen, sie werden umkurvt, und das scheint noch die größte sportliche Leistung der Truppe zu sein, denn auf dem Platz funktioniert nix. Niederlage gegen Japan, Unentschieden gegen Spanien, Aus in der Vorrunde – wie schon bei der WM in Russland. Sie alle wirken verloren, dort am Persischen Golf mit dem schönen Blick aufs Meer. Sie scheinen nicht zu wissen, für wen und für was sie drunten sind im Scheichtum.
„Es ist Weltmeisterschaft, begreift das doch endlich“
„Männer, uns traut keine Sau was zu in Deutschland“, sagt der hilflose Hansi, „ich erwarte, dass ihr es allen zeigt.“ Ihn treibt wirklich um, dass die Nation sich abzuwenden scheint von der Truppe. Umfragen setzen Flick zu, und man wundert sich, warum er sich davon so stark beeinflussen lässt, die schlechte Stimmung fast schon selbstzerstörerisch vor den Spielern ausrollt. Aber die Trotzreaktion fällt aus, vielmehr scheinen sich die Spieler dem Negativtrend zu ergeben. Sie wissen, dass sie Fußball spielen können, sie wissen aber nicht, wie es im Team geht. Fußball-Fatalismus macht sich breit.
Hansi Flick ist empathisch genug, um zu ahnen, dass es an vielen Stellen hakt, deswegen appelliert er an die Spieler, sie müssten schon selber wissen, was sie mit dieser Mannschaft anfangen wollen. Aber nur einer hat das wirklich begriffen: Niclas Füllkrug.
Er wirkt in diesem Ensemble der Verzagten wie aus der Zeit gefallen. Seine Motivationsrede vor dem Spanien-Spiel hat Schmackes, sein Tor gegen die Iberer nicht weniger. Er ist im 2014er-Brasi-Modus. Er allein. Die anderen scheinen die Spiele (und Pressekonferenzen) als lästige Ablenkung vom Zulal-Urlaub wahrzunehmen. „Es ist Weltmeisterschaft“, schreit dann der Hansi noch, „es ist Weltmeisterschaft, begreift das doch endlich“, aber da ist es schon zu spät.
Und dann? Bierhoff wird geopfert. Alle anderen dürfen bleiben. Und diese Ritterlein von der traurigen Gestalt müssen nun weiterwerkeln in einer Gegenwart, die eine humorvolle Pointe zu bieten hat: Im nächsten Länderspiel am Samstag (20.45 Uhr/RTL) geht es ausgerechnet gegen Japan, den WM-Schreck von Doha. „Hansi ist voller Elan, er brennt“, sagt der neue alte DFB-Zampano Rudi Völler vor dieser Partie. Mal sehen, wie die Wildgänse mit dem Schwanz wedeln.
7 Sep 2023
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