taz.de -- Galeria Kaufhof geht in die Insolvenz: Eine Chance für Städte

Galeria Karstadt Kaufhof ist mal wieder in der Krise und die Einkaufsmeilen klagen zunehmend über Leerstand. Für Innenstädte ist das eine neue Möglichkeit.
Bild: Die seit September 2022 leer stehenden Verkaufsräume der Galeria Kaufhof am Münchner Stachus

An Feiertagen und eigentlich schon an einem ganz gewöhnlichen Sonntag könnte man in vielen Innenstädten, Fußgängerzonen oder Shoppingmalls einen Science-Fiction-Film drehen. Eine von diesen Weltuntergangsdystopien, in denen sich böse Roboter, Aliens oder Lavamassen durch die Straßen schieben. Doch weit und breit kein Mensch. Die Rollgitter des Mode-Flagshipstores heruntergelassen, das Innere des Kaufhauses dunkel und die Bildschirme des Elektronikmarkts blinken ihre Werbung einsam in die Winterdämmerung.

Konsumorte, die ohne Konsum ihre Daseinsberechtigung verloren haben. Das jüngste Wiederaufflammen der Dauerkrise beim Warenhauskonzern [1][Galeria Karstadt Kaufhof] – alleine das Namenskonglomerat erzählt die Geschichte des Desasters – bringt es wieder in Erinnerung: das Sterben der Innenstädte. Lange schon wird beklagt, dass die betroffenen Einkaufszonen nicht nur längst mausetot, sondern bereits zu Fossilien geworden sind und wieder ausgegraben werden müssten.

Und so finden die Paläontolog:innen bei der Untersuchung der Fossilien gleich eine Reihe an Todesursachen. Da wären: Die weitgehende Vereinheitlichung der Einkaufsstraßen mittels immer gleicher Ketten, so dass man, mit verbundenen Augen ausgesetzt, nach dem Abnehmen der Augenbinde auf Anhieb kaum sicher sagen könnte, ob man sich nun in Essen, Ulm oder Leipzig befindet. Die Verlagerung des Einkaufserlebnisses auf die grüne Wiese, was leider weder zu Vielfalt noch zu alternativen Konzepten in den Stadtzentren führte.

Die Profitgier der Investor:innen, die auf eine zu vermietende Innenstadtfläche lieber den vierten Flagshipstore setzen, weil der mehr Umsatz und damit [2][mehr Profit für die Immobilieneigentümer:innen] bringt als ein Café oder eine Bücherei. Der Online-Handel, der die Parameter Verfügbarkeit, Auswahl und Bequemlichkeit viel besser adressieren kann als jeder Laden vor Ort.

Nicht mal gemütlich hinsetzen geht

Schauen wir uns einmal um: Orte zum Verweilen? Zum Zusammenkommen? Orte ohne Konsumdruck? Manche Einkaufsstraßen bieten nicht einmal in nennenswertem Umfang attraktive Sitzgelegenheiten. Und wenn, dann gerne diese Bänke mit Armlehnen in etwa 40 Zentimetern Abstand, auf dass ja niemand auf die Idee kommt, sich dort hinzulegen. Von Orten mit Aufenthaltsqualität jenseits der Zehn-Minuten-Fast-Food-Pause zwischen Schuhladen und Drogeriekette ganz zu schweigen.

Und nun die beiden Meteoriten, die ultimativ für das Aussterben der shoppingzentrierten Monokulturen sorgen könnten: die Pandemie. Und die Inflation. Zwar zeigten die Januar-Zahlen des [3][GfK-Konsumbarometers] eine leichte Steigerung der Kauflaune. Doch das Niveau bleibt niedrig. Viele Menschen halten ihr Geld zusammen – freiwillig oder gezwungenermaßen. Die Marktforschung konstatiert, dass der Preis als Kaufargument in einem Rutsch auf Platz eins gelandet ist – Geschmack oder Qualität sind abgestiegen.

Rund 70 Prozent der Kommunen klagen laut dem [4][EHI Retail Institute] über Leerstand in den Einkaufszonen. Und Galeria Karstadt Kaufhof plant einen [5][massiven Stellenabbau und Filialschließungen]. Doch vor diesen Entwicklungen und den Folgen schließen viele Beteiligte lieber die Augen. Galeria Karstadt Kaufhof soll – nach einem ordentlichen Schrumpfungsprogramm – in einigen Jahren wieder schwarze Zahlen schreiben.

Neue Ideen für neuen Raum

Aus Unternehmensperpektive ist diese Strategie nachvollziehbar, auch Firmen haben systemische Selbsterhaltungsbestrebungen. Was nicht nachvollziehbar ist, ist die Weigerung in weiten Teilen der Politik, jenseits punktueller Projekte darüber nachzudenken, was für die Konsumorte jenseits des Bekannten möglich wäre. Wie es weitergehen soll, wenn an die Stelle des Überkonsums etwas anderes treten muss.

Was es bedeutet, wenn die über Jahrzehnte festgefahrene Funktion der Innenstadt als kommerzielles Zentrum zunehmend obsolet wird. Denn aus kapitalistischer Sicht kann man die Veränderungen zwar bedauern – aus gesellschaftlicher Sicht sind sie begrüßenswert. Schließlich wird so Raum frei. Nicht nur physischer Raum. Sondern auch Raum, darüber nachzudenken, welche Funktionen, welchen Sinn eigentlich solche stadtpolitisch attraktiven Orte erfüllen sollten.

Von Kultur über Wohnen bis zur Nahversorgung gibt es da einiges, was für eine Gesellschaft gewinnbringender wäre als eine Abfolge exklusiver Sneakers-, Elektronik-, und Interiorläden. Es gibt sogar Möglichkeiten, über die bekannten Nutzungsarten hinaus zu denken. Was wäre etwa mit Orten, die niedrigschwellige Begegnungen ermöglichen? Vielleicht unter dem gleichen Dach wie Bildungsangebote, Werkstätten, um selbst kreativ zu werden oder gemeinsam Dinge zu reparieren und aus Altem Neues zu schaffen?

Nichtkommerzielle Orte des Miteinanders – eine Art moderne und erweiterte Agora in Zeiten von gesellschaftlichen Umbrüchen und Polarisierungen? Und wie wäre es, die Umgebung gleich mit neu zu denken? Sichere Orte zu schaffen, und zwar für alle gesellschaftlichen Gruppen. Was es wichtig macht, bereits bei der Konzeption nicht auf die Standard-Projektentwickler zu setzen, sondern die Bevölkerung ernsthaft miteinzubeziehen.

Es würden sicher keine Orte entstehen, die den Immobilienbesitzer:innen hohe Quadratmeterpreise bringen. Aber es wären Orte, mit denen sich die Gesellschaft ihre attraktiven Flächen vom Konsum zurückerobern kann. Mit denen Zentren, Einkaufsstraßen, Fußgängerzonen und Malls von Orten des Geldes zu Orten für Bedürfnisse werden könnten. Es wird daher Zeit, dass alle gesellschaftlichen und politischen Akteure sich damit auseinandersetzen.

Denn ohne Steuerung kann es leicht passieren, dass leerstehende Flächen entweder verfallen – oder, so die Lage nur attraktiv genug ist, von der nächsten kapitalistischen Idee belegt werden.

2 Feb 2023

LINKS

[1] /Insolvenzverfahren-von-Galeria-Kaufhof/!5909980
[2] /Buschmanns-Blockade-beim-Mietwucher/!5845316
[3] https://www.gfk.com/de/presse/hoffnungsvoller-start-des-konsumklimas-in-das-jahr-2023
[4] https://www.ehi.org/news/euroshop-2023-join-us/
[5] /Insolvenzverfahren-von-Galeria-Kaufhof/!5909980

AUTOREN

Svenja Bergt

TAGS

Karstadt
Insolvenz
Städtebaupolitik
Inflation
GNS
Schwerpunkt Stadtland
Fußgängerzone
Karstadt
Karstadt
Karstadt
Karstadt
Karstadt
Karstadt

ARTIKEL ZUM THEMA

Bedeutung von Marktplätzen: Orte der Begegnung

Antikes Wissen kann in einer zerfallenden Gesellschaft nicht schaden. So erkundet der Ethikrat auch im Fitnessstudio aktuelle Spielarten der Agora.

Die Wilmersdorfer Straße ohne Galeria: Eine Straße sucht sich selbst

Die Geschichte der Wilmersdorfer Straße war schon immer eine, in der es auf und ab ging. Das Kaufhaus war aber immer da. Nun wird es geschlossen.

Neuausrichtung nach Insolvenz: Mehr Erlebnis bei Galeria 2.0

Insolvenz, Entlassungen, Schuldenschnitt: Der Warenhauskonzern stellt sein Konzept für einen Neustart von Galeria Karstadt Kaufhof vor.

Galeria Kaufhof schließt Filialen: 52 Warenhäuser, 5.000 Arbeitsplätze

Von 129 Filialen der Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof sollen 52 schließen, teilte der Gesamtbetriebsrat mit. Die Maßnahme soll den Konzern am Leben halten.

Karstadt am Hermannplatz: Mögliches Ende eines Retro-Traums

Bei der Karstadt-Rekonstruktion am Hermannplatz könnte der österreichische Investor Signa am Denkmalschutz des bisherigen Gebäudes scheitern.

Insolvenzverfahren von Galeria Kaufhof: Mitarbeitende bangen weiter

Ende Januar müssen die Insolvenzverwalter von Galeria erklären, wie es mit der Warenhauskette weitergeht. Unklar bleibt, wie viele Jobs wegfallen.

Erhalt von Karstadt-Filialen: Das Herz liegt meist im Keller

Entgegen ehemaligen Aussagen sollen doch mehr Filialen von Galeria Kaufhof erhalten bleiben. Trotz Kritik ist unsere Autorin Fan dieser Kaufhäuser.

Insolvenzverfahren bei Galeria-Karstadt: Abrisspläne trotz Absichtserklärung

Das Karstadtgebäude in der Wilmersdorfer Straße soll abgerissen werden. Damit wackelt die Vereinbarung des Senats mit dem Eigentümer Signa.