taz.de -- Die Wahrheit: Wespy, das Balkonbeuteltier

Spätsommerzeit ist Datschizeit, doch vor allem Wespenzeit. Willkommen im Klub! Eine Homestory.
Bild: Wespy, das Balkonkänguru der kleinen Familie, in Aktion

Wir sind jetzt eine Familie. Nach all den kinderlosen Jahren. Nach all den kinderlosen Jahren haben mein Mann und ich jetzt ein Kind. Jeden Morgen begrüßt es uns freudig. Gut gelaunt empfängt es uns summend, wirklich eine Augenweide unser Kind. Es ist anspruchslos, lebt bevorzugt draußen auf dem Balkon. Ein Naturkind in der Stadt.

Öffnet man morgens verschwiemelt und verschlafen die Balkontür, ein wenig güldenes Frühlicht erhaschen wollend, tänzelt das Kind schon um einen herum, erbietet den ersten Sonnengruß. Ein meist wohlerzogenes Kind ist es, ein Wunder bei diesen Eltern.

Wir haben es Wespy getauft, nach Skippy, dem australischen Buschkänguru und Star aus der Kinderserie der sechziger und siebziger Jahre. So wie in der Serie erleben wir viel Buntes mit Wespy, manchmal auch einen ganzen Kessel voller Honig, aus dem wir unser liebes Kind Wespy dann herausfischen müssen, doch führt das hier jetzt zu weit.

Deshalb von vorne. Das Allerbeste an Wespy ist ihre Anspruchslosigkeit bezüglich Garderobe. Ihr reicht das Modell Biene Maja, gold-schwarz gestreifter Einteiler, Wechselkleidung nicht nötig. Ein Träumchen für unsere gemeinsame Haushaltskasse – gerade jetzt, wo alles wegen der Weltpolitik und überhaupt so teuer wird. Endlich ein Kind, das keine Kosten verursacht!

Selbständige Körperpflege

Im Freundes- und Bekanntenkreis beneiden sie uns bereits. Auch die Körperpflege besorgt unser Kind Wespy selbständig, ohne Murren und viel Aufhebens, ohne dass wir sie immer wieder daran erinnern müssten. Dann putzt sich Wespy leicht hektisch mit einem ihrer wohlgeratenen Füßchen ihre lackschwarz glänzenden Äuglein. Selbst die Pflege des behaarten Körperpanzers führt Wespy regelmäßig und gewissenhaft durch und aus.

Äußerst angenehm an Wespy, unserem Kind und Balkonkänguru, ist darüber hinaus, dass es uns aufgrund seiner tierisch wohlgelaunten Disposition niemals, aber auch niemals, in Frage stellt. Wir sind seine Hood, seine Herzensmenschen, seine Bezugspersonen, hin und wieder gibt es einen kleinen Anflug von Freudenstich, dann fliegt uns Wespy an, parkt flüchtig auf unserer Haut und – piks! Nichts Schlimmes, juckt nur bisschen oder mehr.

Wespy freut sich halt so, dass wir sie bei uns leben lassen, zu ihr stehen. Warum wir das tun, fragen Sie sich? Nun, Wespy hält uns einfach die anderen Wespenkinder vom Leib. Das ist auch gut so, mein Mann und ich wollten auch nur kein bis ein Kind. Tagaus, tagein summt Wespy also allein auf unserem blumengesäumten Balkon herum, bis in die tiefen Berliner Nachtstunden geht das. Wir haben schon versucht, Wespy früher in den Schlaf zu singen, ja auch zu wiegen, ohne Erfolg.

Gnade uns, Gnade dem Besuch

Aber nicht, dass wir uns hier falsch verstehen – Wespy ist nicht nur pflegeleicht! Wespy hat manchmal auch ihre Tage, und dann Gnade uns, Gnade Besuchern auf unserem Balkon. Denn dann mutiert Wespy zum Tier, kein gutes Haar beziehungsweise keinen guten Pflaumenkuchen, unter Bayern Zwetschgendatschi genannt, lässt sie zu; von einem gepflegten Balkongespräch unter Menschenähnlichen ganz zu schweigen. Es ist in der Folge ein schlimmes Attackieren und wildes Herumfuchteln am Werk, Vorwürfe und mehr werden laut und stehen im Raum.

Wie es sich eben so zuträgt, wenn man eine Familie ist. Und das nach all den kinderlosen Jahren. Wespy, unser einziges Balkonkänguru du, nichts für ungut!

2 Sep 2022

AUTOREN

Harriet Wolff

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