taz.de -- Impfpflicht in Berliner Einrichtungen: Nicht mehr als ein „Luftschloss“
Ab sofort gilt die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Die Gesundheitsämter sollen sie umsetzen – doch das ist unrealistisch.
Konsequent, aber pragmatisch – unter dieses Motto hat der Berliner Senat die Umsetzung der seit Dienstag geltenden einrichtungsbezogenen Impfpflicht gestellt. Eigentlich sieht die Regelung ein Beschäftigungsverbot für ungeimpfte Ärzt:innen, Pflegekräfte und Co vor. „Im Regelfall wird gar nichts passieren“, kommentiert dagegen der Leiter des Reinickendorfer Gesundheitsamtes, Patrick Larscheid, die geplante Umsetzung der Impfpflicht.
Als die einrichtungsbezogene Impfpflicht [1][Anfang Dezember beschlossen] wurde, schien das allen beteiligten Bundes- und Landespolitiker:innen noch eine gute Idee zu sein. Die Hoffnung: Ein drohendes Beschäftigungsverbot für alle im medizinischen und pflegerischen Bereich tätigen Personen könnte die Impfmotivation deutlich steigern und [2][besonders gefährdete Gruppen schützen]. Betroffen sind Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, Arzt- und Zahnarztpraxen sowie in Therapieeinrichtungen etwa für Logopädie, Ergo- oder Physiotherapie und bei der Feuerwehr.
Am Tag des Inkrafttretens der Impfpflicht liegt die Quote vollständig geimpfter Beschäftigter in den Berliner Krankenhäusern laut Gesundheitsverwaltung zwischen 82 und 100 Prozent. In Berlins größtem Krankenhausbetrieb, der Charité, sind es nach eigenen Angaben 94 Prozent. Die Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen sind laut Gesundheitsverwaltung zu rund 90 Prozent vollständig geimpft. Bei der Berliner Feuerwehr liegt die Quote laut Innenverwaltung bei über 90 Prozent. Zum Vergleich: Die Berliner Bevölkerung zwischen 18 und 59 Jahren ist [3][zu knapp 85 Prozent grundimmunisiert].
Komplexes Verfahren
Alle ungeimpften Beschäftigten in den betroffenen Einrichtungen dürften nun theoretisch ab dem 16. März nicht mehr beschäftigt werden. Aber das [4][Verfahren zur Umsetzung der Impfpflicht] ist komplex. Zunächst muss der Arbeitgeber die ungeimpften Beschäftigten und eine mögliche Gefährdung des Betriebs durch deren Wegfall an das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) melden. Das Lageso soll die Daten auf Vollständigkeit prüfen und sortieren und dann an die Gesundheitsämter der Bezirke weitergeben, die dann zunächst die fehlenden Impfnachweise bei den Beschäftigten nachfordern und Impfangebote vermitteln sollen.
Kommen die Beschäftigten der Aufforderung nicht nach, sollen die Gesundheitsämter ein Bußgeldverfahren einleiten. Bei drohendem Versorgungsengpass kann das Verfahren aber ausgesetzt werden. Außerdem liegt es im Ermessen des Gesundheitsamts, als letztes Mittel ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot auszusprechen.
Rund 5.000 Einrichtungen seien allein in Berlin von der Impfpflicht betroffen, so Amtsarzt Larscheid. „Wir haben in den Gesundheitsämtern weder die inhaltlichen noch die personellen Ressourcen, um zu prüfen, ob ohne die ungeimpften Beschäftigten die Versorgung gefährdet ist.“ Darauf hätten er und seine Kolleg:innen aus den anderen Bezirken frühzeitig hingewiesen.
Die Leiter:innen aller Gesundheitsämter hätten sich im Sinne eines einheitlichen Vorgehens darauf geeinigt, dass im Regelfall keine Beschäftigungsverbote für Ungeimpfte durchgesetzt würden. „Unsere Kräfte sind nicht nur durch die Pandemie, sondern auch durch die Versorgung der Kriegsflüchtlinge völlig ausgereizt“, sagt Larscheid. Das dürfte im für die Vorprüfung der Meldungen zuständigen Lageso nicht anders aussehen. Die Bearbeitung werde auch dort Monate dauern, vermutet Larscheid.
Am 1. Januar 2023 tritt die Regelung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht jedenfalls wieder außer Kraft. „Ein Luftschloss“, resümiert Amtsarzt Patrick Larscheid.
15 Mar 2022
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