taz.de -- Giffeys neue alte Corona-Strategie: Fußläufig zum Impfangebot
Die neue Regierende Franziska Giffey (SPD) will über dezentrales Impfen in Brennpunkten noch nicht Geimpfte erreichen. Schulen sollen offen bleiben.
Berlin taz | Kann die Neue es besser? Franziska Giffey (SPD), seit kurz vor Weihnachten Regierende Bürgermeisterin, will die Impfquote über dezentrale Impfstellen bis Monatsende auf 80 Prozent heben. Das kündigte sie nach der Senatssitzung vor Journalisten an. Sie hatte dabei soziale Brennpunkte und große Migrantengruppen im Fokus und maß den 49 Familienzentren große Bedeutung zu. „Das sind Andockpunkte“, sagte sie. Auch Imame sollen helfen, Vorurteile gegen die Impfung abzubauen. Nicht viel anders hört sich das schon vor Monaten bei Giffeys Vorgänger Michael Müller an, ohne dass sich das merklich in der Impfquote niederschlug.
75,3 Prozent betrug die Quote bei den Erstimpfungen am Dienstag. Für die bis zum selbst gesteckten Ziel fehlenden 4,7 Prozentpunkte hatte Giffey nicht Impfgegner und Coronaleugner im Blick, sondern jene, die aus Sprachschwierigkeiten, wegen Ängsten wie Unfruchtbarkeit oder Impotenz oder weiter Wege zu Impfzentren noch ungeimpft sind. Die verortete sie vor allem in Neukölln, Wedding und in Spandau an der Heerstraße Nord.
Nach der Pressekonferenz wollte sich Giffey am Dienstagnachmittag mit der Integrationsbeauftragten des Landes beraten, wie das dezentrale Impfen konkret aussehen soll. „Es muss fußläufig im Sozialraum sein“, sagte Giffey. Dieser Fachbegriff beschreibt den jeweiligen Lebensraum. Im vergangenen Jahr hatten Spontan-Impf-Aktionen etwa am Hermannplatz in Neukölln großen Erfolg. „Die Frage des In-Anspruchnehmens von Impfen ist auch eine Integrationsaufgabe – nicht nur, aber auch“, sagte Giffey.
Wegen der inzwischen auf fast 40 Prozent angestiegenen Quote derer, der dreimal geimpft sind, war Giffey vor den Journalisten weit davon entfernt, die Lage als problematisch zu beschreiben: „Grundsätzlich bin ich sehr zufrieden mit dem Impffortschritt.“ Auch bei der Infektionslage sah sie keinen Grund für Panik. Selbst wenn man noch kein ganz klares Bild über die Neuinfektionen habe, so gebe es doch zwei verlässliche Werte: die Zahl derer, die wegen Corona ins Krankenhaus kommen, und diejenigen darunter, die auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. Beide Werte sind auf der [1][Corona-Warn-Ampel] der Senatskanzlei nicht im roten Bereich, sondern im gelben und grünen.
Mit Blick auf eine mögliche Verkürzung der Quarantäne zur Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur kündigte Giffey an, noch zu vereinbarende bundesweite Regeln zu übernehmen – „Berlin wird da nicht ausscheren.“ Deshalb war am Dienstag auch noch offen, ob eine kürzere Quarantänezeit für alle gelten soll oder nur für jene, die Beschäftigte in ebenjener kritischen Infrastruktur sind, bei der zuallererst Polizisten, Feuerwehr und Klinikpersonal genannt werden.
Ganz praktisch ist Berlin aus Sicht der Regierungschefin noch weit von einer solchen Gefährdungslage entfernt. „Trotzdem muss man sich in der Diskussion darauf vorbereiten“, sagte Giffey. Sie kündigte an, dass sich der Senat am Donnerstag mit noch ausstehenden Expertenempfehlungen beschäftigen wolle, bevor am Freitag die nächste Konferenz der Ministerpräsidenten ansteht.
Die aktuellen Einschränkungen, etwa bei den Kontakten, werden laut Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne), die mit Giffey in die Pressekonferenz kam, weiter gelten: „Was wir jetzt haben, wird sicher erst mal so bleiben.“ Gote präsentierte zudem Zahlen von Dienstagmittag, wonach die neue Corona-Variante Omikron inzwischen in Berlin die dominierende Variante ist. Auch vor diesem Hintergrund nannte Giffey die Wahrscheinlichkeit, dass in Bussen und Bahnen künftig wieder eine FFP2-Maske vorgeschrieben ist und eine OP-Maske nicht mehr ausreicht, „relativ hoch“.
Schulschließungen – dort sind nach ihren Zahlen 95 Prozent der Lehrer geimpft – will die Regierungschefin verhindern. Wenn Coronafälle auftauchten, sei punktuell zu reagieren, nicht flächendeckend. Sie unterstrich die zentrale Bedeutung des Präsenzunterrichts und erinnerte an negative Folgen früherer Schießungen für viele Schüler. „Kinderschutz ist auch Gesundheitsschutz“, sagte Giffey, „ich werde alles dafür tun, dass wir es nicht wieder so weit kommen lassen.“
4 Jan 2022
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