taz.de -- Pandemie in Sachsen: Coronaregeln stoßen auf Widerstand

In Sachsen steigen die Fallzahlen immer weiter – wohl auch weil viele Bürger*innen die Regeln ignorieren, wie sich bei Kontrollen zeigt.
Bild: Boosterimpfung im VW Werk Zwickau

Leipzig taz | Die strengen Coronaregeln in Sachsen stoßen auf Widerstand. Längst nicht alle Bürger*innen halten sich an die 2G-Regelung oder die FFP2-Maskenpflicht in Bus und Bahn. Die Kontrollteams, die seit Montag letzter Woche im Freistaat unterwegs sind und stichprobenartig die Regeln kontrollieren, haben binnen einer Woche 687 Verstöße ermittelt. Es wurden sowohl Verwarnungen ausgesprochen als auch Bußgelder verhängt. Das teilte der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) am Dienstag im Anschluss an die Kabinettssitzung in Dresden mit.

[1][Die Kontrollteams bestehen aus je drei Personen] und setzen sich aus Mitarbeiter*innen der Polizei, des Ordnungsamtes sowie des Gesundheitsamtes zusammen. Vergangene Woche seien im Freistaat 211 Teams im Einsatz gewesen, sagte Wöller. Dabei hätten die Teams 1.767 gewerbliche Einrichtungen kontrolliert – also zum Beispiel Restaurants, Kinos, Cafés oder Kneipen – sowie 300 Personen.

Der sächsische Innenminister appellierte an die Bürger*innen, sich an die Coronamaßnahmen zu halten und ihre Kontakte massiv einzuschränken. Nur so könnten die Inzidenzen gesenkt und die Krankenhäuser entlastet werden.

Seit Montag [2][gelten in Sachsen neue Regeln]: Bars, Clubs, Kinos, Theater, Schwimmbäder und andere Freizeit- und Kultureinrichtungen bleiben geschlossen, Restaurants dürfen zwar weiterhin unter Einhaltung der 2G-Regel öffnen – allerdings nur noch bis um 20 Uhr, Weihnachtsmärkte und andere Großveranstaltungen sind ebenso verboten wie die Beherbergung von Tourist*innen oder der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit.

Sieben Landkreise über Inzidenz von 1.000

Darüber hinaus wurde die 2G-Regelung auf den Einzelhandel ausgeweitet, ausgenommen davon sind Supermärkte, Apotheken, Drogerien und Tankstellen. In Regionen mit einer Inzidenz über 1.000 – in Sachsen betraf das am Dienstag sieben Landkreise, am Mittwoch acht – dürfen Ungeimpfte ab 22 Uhr ohne triftigen Grund nicht mehr die Wohnung verlassen. Zudem sind nur noch ortsfeste Kundgebungen mit zehn Personen erlaubt, Geimpfte und Genesene mitgezählt.

Trotz dieser Regelung versammelten sich am Montagabend rund 375 Personen auf dem Kornmarkt in Bautzen, um gegen die Coronamaßnahmen zu demonstrieren. Versammlungen wie diese seien besorgniserregend, sagte Wöller. Zwar habe die örtliche Versammlungsbehörde die Kundgebung in Bautzen mit 300 Teilnehmer*innen genehmigt – die Coronaschutzverordnung lasse Ausnahmen zu, sofern sie „infektionsrechtlich“ vertretbar seien.

„Ich kann aber nicht verstehen, wieso das zuständige Gesundheitsamt und die Versammlungsbehörde es bei einer 7-Tage-Inzidenz von über 1.400 im Landkreis Bautzen für vertretbar halten, dass 300 Menschen eine Versammlung abhalten“, sagte Wöller.

Darüber hinaus nahm der sächsische Innenminister zu der [3][Mitteilung der sächsischen Polizeigewerkschaft] Stellung, wonach Sachsens Polizei ein Kollaps drohe. 400 Beamt*innen seien mit dem Coronavirus infiziert, 600 weitere in Quarantäne, heißt es in der Meldung von Donnerstag.

Sachsens Polizei weniger schlimm betroffen

Wöller zufolge sei diese Angabe falsch. Am vergangenen Donnerstag hätten sich in der sächsischen Polizei 682 Bedienstete in Quarantäne befunden, davon seien 413 mit dem Virus infiziert, sagte der Innenminister. „Offenbar wurden hier die Zahlen fälschlicherweise addiert, so sieht meines Erachtens kein gewerkschaftlicher Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie aus.“

Am Dienstag befanden sich laut Wöller 912 Bedienstete der sächsischen Polizei in Quarantäne, 519 davon seien an Covid-19 erkrankt. Im Vergleich zum Vortag seien damit 136 mehr in Quarantäne. „Die Einsatzfähigkeit der sächsischen Polizei ist damit aktuell nicht gefährdet.“

Sachsen hat seit Wochen die höchste Corona-Inzidenz in Deutschland, am Dienstag lag sie laut Robert-Koch-Institut (RKI) bei 970, am Mittwoch bei knapp 936. „Wir müssen damit rechnen, dass wir noch in dieser Woche die 1000er-Marke knacken“, sagte Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping. Bundesweit liegt die Inzidenz bei knapp 400. Die Dunkelziffer dürfte in Sachsen um einiges höher liegen, so Köpping, denn die Gesundheitsämter kämen bei der Nachverfolgung der Infektionen nicht mehr hinterher.

Gleichzeitig ist Sachsen das Bundesland mit der niedrigsten Impfquote: Nur 57,7 Prozent der Menschen sind hier geimpft – deutschlandweit sind es 68 Prozent. Während die Nachfrage nach der Booster-Impfung in Sachsen enorm steige, sagte Köpping, gebe es bei den Erst- und Zweitimpfung nur einen geringen Anstieg. Nach Angaben der Gesundheitsministerin verabreichen derzeit rund 1.800 Arztpraxen Coronaimpfungen. 4.500 Praxen könnten es theoretisch sein. „Ich bitte alle Arztpraxen, mitzuimpfen“, sagte Köpping.

Das sächsische Gesundheitsministerium hatte sich einst vorgenommen, pro Woche 100.000 Impfungen in Arztpraxen zu verabreichen. Vergangene Woche waren es jedoch nur 63.000 Impfungen. „Wir erreichen unsere Zielzahlen nicht“, kritisierte Köpping. Daher wolle sie die Impfkapazitäten in Sachsen nochmals aufstocken. „Das werden wir in der kommenden Woche hoffentlich beschließen.“

24 Nov 2021

LINKS

[1] /Bundesland-mit-hoechster-Inzidenz/!5814406
[2] /Bundesland-mit-hoechster-Inzidenz/!5816238
[3] https://dpolg-sachsen.de/pressemitteilung-der-dpolg-sachsen-vom-18-11-2021-bezueglich-corona-impfungen-bei-der-polizei/

AUTOREN

Rieke Wiemann

TAGS

Schwerpunkt Coronavirus
Pandemie
Sachsen
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Knapp überm Boulevard
Schwerpunkt Coronavirus

ARTIKEL ZUM THEMA

Intensivarzt zur Coronalage in Sachsen: „Ungeimpfte machen mich wütend“

In Sachsen könnten bald alle Kliniken an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, sagt der Intensivarzt Uwe Krause. Kritik übt er an den politisch Verantwortlichen.

Nachrichten in der Coronakrise: Kinder-Impfung rückt näher

Die EMA gibt grünes Licht für das Biontech-Vakzin für 5- bis 11-Jährige. Das Impftempo in Deutschland steigt deutlich. In Dresden gab es einen Angriff auf ein Impfteam.

Coronakrise trifft Behörden: Polizei ringt mit der Impfpflicht

Auch unter Polizist:innen sind die Corona-Infektionen hoch, Personalvertretungen warnen vor einem Kollaps oder fordern eine Impfpflicht.

Coronalage in Deutschland: PCR-Testlabore am Limit

Die extrem zunehmenden Neuinfektionen überlasten die Testlabore in Deutschland. Dadurch wächst auch die Dunkelziffer.

Impfgegner gegen die Demokratie: Freiheit als Ersatzmythos

Impfgegner pochen auf individuelle Freiheit und wähnen die Demokratie am Ende. Doch nebst der Irrationalität sind sie auch ein Symptom für etwas.

Nachrichten zur Coronakrise: „Situation noch nie so ernst wie jetzt“

Der RKI-Chef ruft zu mehr Social Distancing auf. Hamburg, Niedersachsen und NRW führen flächendeckend 2G ein, Brandenburg setzt die Präsenzpflicht an Schulen aus.