taz.de -- Coronakrise in Deutschland: Inzidenz rauf, Clubs dicht

In Nordrhein-Westfalen machen Clubs wegen steigender Coronazahlen wieder zu. Derweil läuft die Debatte um Impfprivilegien weiter.
Bild: Modellprojekt maskenfreie Disko in Schleswig-Holstein. Henstedt-Ulzburg am 25. Juli

Berlin taz | Die einen lockern, die anderen verschärfen: Während in Schleswig-Holstein seit Montag Veranstaltungen jeder Größe stattfinden dürfen, müssen in Nordrhein-Westfalen alle Feste mit mehr als 1.000 Teilnehmer*innen abgesagt werden, Clubs und Diskotheken wieder schließen. In NRW liegt die landesweite 7-Tage-Inzidenz seit Tagen deutlich über 10, in einzelnen Landkreisen sogar über 60. Verschärfte Coronaregeln traten automatisch in Kraft. Ob Fallzahlen und Inzidenzen überhaupt noch zur Bewertung der Gefährdungslage taugen, ist umstritten.

Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen [1][steigt in ganz Deutschland weiterhin] deutlich, allerdings hat sich die Wachstumsrate zumindest verlangsamt: Mit 1.661 neuen Fällen pro Tag lag der Sieben-Tage-Mittelwert am Montag um 33 Prozent höher als vor einer Woche; da lag diese Wachstumsrate zeitweise bei über 60 Prozent. Bei einer Wachstumsrate von 33 Prozent verdoppeln sich die Fallzahlen alle 17 Tage.

Die Zahl der täglich beim Robert Koch-Institut gemeldeten Todesfälle im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion liegt im Sieben-Tage-Mittel mit 23 zwar weiterhin auf einem niedrigen Niveau, ist aber innerhalb einer Woche um 26 Prozent gestiegen. Auf den Intensivstationen, wo es seit Monaten einen rückläufigen Trend gab, stagnierte die Zahl der Coronapatient*innen zuletzt bei rund 370.

Als wichtigstes Mittel, um eine erneute Überlastung der Intensivstationen im Winter zu verhindern, gilt eine möglichst hohe Impfquote. In der letzten Woche wurden im Schnitt noch 450.000 Impfungen pro Tag durchgeführt; Mitte Juni waren es fast doppelt so viele. Besonders stark ist der Rückgang bei den Erstimpfungen: Sie haben sich binnen drei Wochen auf nur noch 110.000 pro Tag gedrittelt. Damit werden derzeit weit weniger Impfungen durchgeführt als Impfstoff allein von den Herstellern Biontech und Moderna geliefert wird.

Zum Teil könnte dies an den Sommerferien liegen, teils daran, dass ein großer Teil der Impfwilligen bereits geimpft wurde: Von den Über-60-Jährigen haben inzwischen knapp 85 Prozent mindestens eine Dosis erhalten; bei den 18- bis 59-Jährigen sind es 61 Prozent; bei den 12- bis 17-Jährigen, für die es keine generelle Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission gibt, liegt der Anteil mit 18 Prozent niedriger, wächst aber derzeit am schnellsten.

Die steigenden Fallzahlen und die möglicherweise sinkende Zahl Impfwilliger heizen erneut die [2][Debatte um Impfprivilegien] an. Ausgelöst hat sie Kanzleramtsminister Helge Braun. Am Wochenende kündigte er an, Menschen ohne Impfung müssten mit mehr Einschränkungen rechnen, was dem CDU-Politiker Kritik selbst aus den eigenen Reihen einbrachte. Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer stellte am Montag klar, dass es keine Impfpflicht durch die Hintertür geben werde. Bundesfamilien- und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) lehnt eine Impfpflicht ebenfalls ab. Sie könne sich aber vorstellen, dass Ungeimpfte ihre Tests künftig selbst bezahlen müssten, sagte Lambrecht im Deutschlandfunk.

Zur weiteren Abstimmung soll nun die nächste Konferenz der Ministerpräsident*innen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgezogen werden. Einen genauen Termin nannte die Regierung noch nicht.

26 Jul 2021

LINKS

[1] /Fallzahlen-steigen-Impftempo-sinkt/!5787124
[2] /Umgang-mit-Ungeimpften/!5785640

AUTOREN

Manuela Heim
Malte Kreutzfeldt

TAGS

Schwerpunkt Coronavirus
Nordrhein-Westfalen
Impfung
Pandemie
Maskenpflicht
Schule und Corona
Hubert Aiwanger
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus

ARTIKEL ZUM THEMA

Nachtleben in Berlin: Maske auf bei Blaulicht

Draußen tanzen geht in Berlin wieder. Unsere Autorin wundert sich allerdings über die Masken-Policy in Berliner Clubs.

Effektivität von Schulschließungen: Die Old-School-Methode

Wenn Kinder zu Hause bleiben, verbreitet sich Corona langsamer, zeigt eine Studie. Doch es gäbe auch andere gute Mittel – wenn man denn wollte.

Hubert Aiwangers Impfgegner-Kurs: Techteln mit der „Loony Right“

Anti-Impf-Rhetorik ist der plumpe Versuch, sich einer abgedrehten rechten Zielgruppe anzudienen. Bayerns Vize-Landeschef macht es vor.

Aktuelle Nachrichten in der Coronakrise: Hälfte Deutschlands voll geimpft

Über 50 Prozent der Bevölkerung sind nun immunisiert. Eine Testpflicht für Tourist:innen kommt wohl bald. Viele Jugendliche zeigten im Lockdown Depressions-Symptome.

Aktuelle Nachrichten in der Coronakrise: Söder will Pflichttests für Touris

Bayerns Ministerpräsident fordert klare Einreiseregeln und Vorbereitungen auf den Herbst. Die deutsche Politik streitet weiter über Nachteile für Ungeimpfte.

Umgang mit Ungeimpften: Maximaler Druck ist nötig

Nichts ist derzeit wichtiger als die Impfquote zu erhöhen. Das kommt nicht einer Impfpflicht gleich, sondern ist für Impfunwillige nur unbequemer.

Berliner Inzidenzwerte steigen wieder: Eine Corona-Ampel leuchtet Gelb

Sind die Inzidenzwerte von über 20 ein Grund zur Sorge? Nein und Ja, meint unser Kommentator. Übers Impfen – und darüber, warum die Zeit drängt.

Fallzahlen steigen, Impftempo sinkt: Corona-Sorgen wachsen wieder

De Infektionszahlen steigen exponentiell, die Zahl der Impfungen geht deutlich zurück. Das RKI warnt vor erneut vollen Intensivstationen im Winter.