taz.de -- Covid-Infektionen in Indien: Die Coronawelle vom Ganges
Indien verzeichnet täglich Rekordinfektionszahlen. Die Rufe werden lauter, das weltgrößte Hindufest und Wahlkampfveranstaltungen zu beenden.
Mumbai taz | Seit dem Wochenende ist es in der nordindischen Stadt Haridwar am Oberlauf des Ganges still. Eigentlich findet hier noch bis Ende April [1][das Hindufestival Kumbh Mela] statt. Doch seit Indien täglich mehr als 200.000 neue Corona-Infektionen verzeichnet, am Sonntag mit einem neuen Rekordwert von 261.500, und Tausende Besucher:innen der Kumbh, darunter über 100 Geistliche, positiv auf das Virus getestet wurden, gibt es einen Kurswechsel.
Seit Mitte März waren Hunderttausende zu den rituellen Waschungen gekommen, die hier alle zwölf Jahre stattfinden. Unter den Pilger:innen sind Vertreter:innen religiöser Sekten, Akhara genannt. Erst der coronabedingte Tod des Führers der Maha Nirvani-Akhara rüttelte auf.
„Seitdem haben sich sieben der 13 Akhara zurückgezogen“, sagte Polizeikommissar Janmejay Khanduri am Sonntag der taz. Das Festival sei nicht beendet, doch die Besucherzahlen gefallen.
In Haridwar gilt seit dem Wochenende eine Ausgangssperre. Zuletzt gab das späte Zugeständnis des hindunationalistischen Premierministers Narendra Modi (BJP) den Ausschlag. Er rief am Samstag dazu auf, den Rest der Kumbh nur noch „symbolisch“ abzuhalten.
Wahlkampf in der Menschenmenge
Modi und seine Partei werden dafür kritisiert, dass sie nicht früher eingegriffen haben. Er hatte kürzlich noch auf einer Wahlkampfveranstaltung in Westbengalen eine riesige Menschenmenge begrüßt.
„Es ist das erste Mal, dass so viele Kranke und ein Rekord an Todesfällen zu verzeichnen ist“, klagt Oppositionsführer Rahul Gandhi. Seine Kongresspartei wirft Modi vor, locker zwischen Corona-Krisengesprächen und Wahlveranstaltungen zu wechseln.
Modi und Uttarakhands Ministerpräsident hatten bis vor Kurzen für eine sichere Kumbh geworben. Gesundheitsexpert:innen warnten schon. Der Ministerpräsident erkrankte kurz darauf an Corona.
Rajnish Kumar, der in Haridwar wohnt, sagt, ihm sei nicht klar gewesen, dass sich die Situation so zuspitzen könne. Der Mittzwanziger hatte mehrmals [2][im heiligen Wasser] gebadet. Seitdem sei er krank, doch sein Coronatest negativ.
Furcht um das Kumbh-Geschäft
Haridwars Bevölkerung fürchtet jetzt um ihr Kumbh-Geschäft. Und wie im Rest des Landes verzeichnen auch Uttarakhands Krankenhäuser einen Ansturm an Coronapatienten. In den sozialen Medien kursieren Hilferufe nach Krankenbetten, Sauerstoff oder dem Medikament Remdesivir. Selbst der Transportminister sucht per Twitter ein Bett für ein Familienmitglied.
Delhi, Mumbai und andere Städte und Regionen verlangen inzwischen von Rückkehrern von der Kumbh 10 bis 14 Tage Quarantäne. In vielen Teilen Indiens gelten bereits Wochenend- und Teillockdowns. Vor allem die indische Doppelmutation B.1.617 verbreitet sich schnell.
18 Apr 2021
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