taz.de -- Fridays for Future zum Klima-Aktionstag: „Die Masse ist auf unserer Seite“

Fridays for Future will nach der Corona-Pause zurück auf die Straße. Ein Gespräch mit den Aktivist:innen Pia Haase und Riva Morel.
Bild: Greta Thunberg demonstriert mit Aktivist*innen von Fridays for Future vor dem Brandenburger Tor

taz: Frau Haase, Herr Morel, Sie sind bei Fridays for Future in Berlin aktiv und rufen am 25. September zum Klimastreik auf. Nach der letzten Massendemo vor einem Jahr beschloss die Bundesregierung kurz darauf das lang ersehnte Klimapaket …

Pia Haase: … wohl eher ein „Klimapaketchen“. Die Enttäuschung war riesig.

Warum?

Haase: Wir kamen uns verarscht vor, aber der Frust diente auch als Katalysator, weiter und lauter zu protestieren. 1,4 Millionen Menschen waren vor einem Jahr allein in Deutschland auf der Straße. Wir haben die Massen auf unserer Seite.

Riva Morel: Der Klimakummer war zunächst natürlich groß – und er kommt auch immer wieder. Die Demos werden aber auch dadurch umso wichtiger. Sie geben ein gemeinschaftliches Gefühl. Nach dem Motto: Du bist nicht allein.

In Berlin demonstrierten vor einem Jahr laut Polizei 100.000, laut Veranstalter*innen 270.000 Menschen. Wie soll das kommenden Freitag in Zeiten von Corona funktionieren?

Haase: Unser Ziel ist es, die Teilnehmenden so aufzuteilen, dass nicht zu viele zur selben Zeit am selben Ort protestieren. Es wird einen Sitzstreik vor dem Brandenburger Tor geben mit Abstandslinien auf dem Boden. Wir haben ein Coronakonzept erarbeitet, es gilt Maskenpflicht, und es wird Desinfektionsmittel geben. Parallel findet eine Fahrraddemo coronakonform mit Startorten an verschiedenen Standpunkten statt.

Klingt aufwändig.

Haase: Auf jeden Fall. Eine Großdemo in Zeiten von Corona zu organisieren ist mit viel mehr Auflagen verbunden. Aber es ist leistbar. Es wird in Hunderten Städten Aktionen und Demos geben. Auf unserer Internetseite ist eine Übersichtskarte.

Fridays for Future will „Soziales neu denken“, so der Aufruf zur Demo. Warum steht die soziale Frage dieses Jahr im Fokus?

Morel: Konjunkturpakete in Zeiten von Corona müssen an soziale und nachhaltige Bedingungen geknüpft werden. Es wird aber weiterhin viel zu viel Geld für fossile Strukturen und Konzerne wie Lufthansa ausgegeben. Dazu hatten wir vor Kurzem eine Pressekonferenz mit Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften. Schon jetzt sind die Ärmsten am stärksten vom Klimawandel betroffen – global, aber auch national läuft das komplett schief.

Haase: Wir sind eine Klimagerechtigkeitsbewegung. Das heißt, wir fordern soziale Gerechtigkeit. Die Klimakrise verstärkt soziale Ungerechtigkeiten. Klimaschutz kann nicht von anderen sozialen Fragen getrennt werden. Niemand darf ausgegrenzt und Klimaschutz darf nicht zulasten bestimmter Personengruppen gestaltet werden. Der Kampf für Klimagerechtigkeit muss intersektional sein, das heißt, er muss antirassistisch, antifaschistisch, antikapitalistisch und feministisch sein. Und er muss gegen jegliche andere Form von Diskriminierung und Ungerechtigkeit antreten.

Herr Morel, Sie sind zudem bei den Anti-Kohle-Kidz aktiv, die dazu aufrufen, parallel zum Klimastreik ins Rheinland zu fahren, um in der Grube zu protestieren. Wer sind die Anti-Kohle-Kidz?

Morel: Wir haben uns nach dem letzten großen Klimastreik vor einem Jahr gegründet. Wir sind eher junge Menschen, und es gibt uns bereits in weiteren Städten wie Hamburg, Rostock oder der Ortsgruppe Süd. Wir sind ein breites Bündnis aus antirassistischen, antifaschistischen, feministischen und antikapitalistischen Gruppen. Wir wollen gemeinsam mit Ende Gelände die Kohleinfrastruktur blockieren, aber ein etwas niedrigschwelligeres Angebot des zivilen Ungehorsams anbieten. Ende Gelände geht meist in die Grube, was für viele schon sehr anspruchsvoll ist. Unsere Priorität liegt auf der Sicherheit und darauf, unsere Erfahrungen mit Neuen und Interessierten zu teilen.

Warum findet das zeitgleich statt, ist das eine Konkurrenz zum Klimastreik?

Morel: Nein. Die Aktion wird so möglich sein, dass man direkt von der Massendemo in Berlin und anderen Städten in die Grube fahren kann.

Was soll das bringen, weiterhin gegen Kohle zu protestieren? Das Kohleausstiegsgesetz wurde jüngst beschlossen.

Morel: Aufgeben ist keine Option. Auch wenn es bereits Gesetze gibt, ist es wichtig zu zeigen, ob man damit einverstanden ist oder nicht. Dieses „Kohleeinstiegsgesetz“, wie wir es nennen, ist absolut kein Kompromiss – obwohl es in den Medien häufig so verkauft wird. Es sollen noch weitere sechs Dörfer abgebaggert werden, aber wir dürfen nicht die Dörfer enteignen – sondern die Kohlekonzerne. Kohle ist jetzt schon nicht mehr rentabel. Durch Aktionen des zivilen Ungehorsams wollen wir den Kohleausstieg früher einleiten. Jeder noch so kleine Erfolg, den wir schaffen, rettet Menschenleben. Wir brauchen nicht erst 2038 einen Ausstieg, sondern jetzt.

Seit Corona haben Fridays for Future und andere Klimaaktivist*innen vor allem im Internet protestiert. Wie hat das geklappt?

Haase: Wir haben den freitäglichen Schulstreik ab März ins Netz verlagert. Das hat ein wenig geholfen, vor allem uns gegenseitig weiter zu motivieren. Aber wir konnten mit dem Netzstreik nicht so viele Menschen erreichen, sondern nur die, in deren Algorithmus wir vorkommen. Die Klimadebatte wurde aus der Öffentlichkeit verdrängt. Klimapolitisch ist nichts passiert. Deshalb braucht es jetzt wieder eine präsente und große Klimagerechtigkeitsbewegung auf der Straße. Wir freuen uns, wenn viele kommen, und zwar von jung bis alt.

21 Sep 2020

AUTOREN

Sophie Schmalz

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