taz.de -- Greta Thunberg bei der Kanzlerin: Zwei Frauen, die sich ähneln

Sowohl Kanzlerin Merkel als auch Aktivistin Thunberg wollen den Klimakollaps verhindern. Wie das konkret klappen kann, können aber beide nicht sagen.
Bild: Treffen mit Abstand: Greta Thunberg und ihre Mitstreiterinnen mit Bundeskanzlerin Merkel

Es mag zunächst erstaunen, dass Greta Thunberg einen Termin im Kanzleramt bekommt. Aber so groß sind die Unterschiede zwischen ihr und Merkel gar nicht, denn beide teilen das gleiche Ziel: Auch die Kanzlerin will vermeiden, dass sich die Erde unerträglich erhitzt. Die Bundesrepublik ist dem Pariser Klimaabkommen 2016 beigetreten – da gab es [1][Fridays for Future] noch gar nicht.

Thunberg beklagt zu Recht, die derzeitige Umweltpolitik reiche niemals dafür aus, dass Deutschland seine Klimaziele einhielte. Nur: Eine konkrete Alternative hat auch sie nicht zu bieten. Thunberg fordert zwar eine klimaneutrale Wirtschaft, aber es bleibt nebulös, wie man sich diese Welt vorzustellen hat. Verbot aller Flugzeuge? Aller privaten Autos? Aller Handys? Aller Neubauten? Muss jeder Vegetarier werden?

Dazu steht nichts in dem offenen Brief, den Thunberg und drei weitere Aktivistinnen an alle EU-Regierungen geschickt haben. Diese Sprachlosigkeit verweist auf eine weitere Gemeinsamkeit mit der Kanzlerin: Auch Merkel ist ratlos, wie ein Umstieg in eine klimaneutrale Wirtschaft gelingen könnte.

Der Unterschied zwischen Merkel und Thunberg ist vor allem politästhetischer Natur: Merkel gesteht ihre Ratlosigkeit indirekt ein, indem sie weitermacht wie bisher. Es wird Klimapolitik betrieben, aber nur als grüne Fassade. Der Kern der Wirtschaft bleibt fossil – weil der Ökostrom niemals dazu reichen würde, einen krisenfreien Aufschwung zu garantieren.

Wie sieht ein „neues System“ aus?

[2][Thunberg hingegen maskiert ihre Ratlosigkeit durch Radikalität]. Sie fordert ein „neues System“, doch dieses wird nirgendwo konkret beschrieben. Also passiert politisch nichts. Ungewollt stabilisiert auch Thunberg die bisherige Wirtschaftsordnung.

Dies ist keine Kritik an Fridays for Future. Es wäre eine Überforderung, ausgerechnet von SchülerInnen zu verlangen, schlauer als der Rest der Gesellschaft zu sein. Aber das Treffen im Kanzleramt zeigt einmal mehr, dass es kein „Politikversagen“ ist, dass der Klimaschutz nicht vorankommt. Es fehlt ein tragfähiges Konzept.

20 Aug 2020

LINKS

[1] /Aktivistin-von-Ende-Gelaende-zu-Protesten/!5699073
[2] /Krisen-Gespraech-mit-Greta-Thunberg/!5678160

AUTOREN

Ulrike Herrmann

TAGS

Greta Thunberg
Schwerpunkt Fridays For Future
Schwerpunkt Angela Merkel
Schwerpunkt Klimawandel
Greta Thunberg
Schwerpunkt Angela Merkel
Schwerpunkt Fridays For Future
IG
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Fridays For Future
Datteln
Schwerpunkt Coronavirus

ARTIKEL ZUM THEMA

Thunberg als Gastchefredakteurin: Wirkt der „Greta“-Effekt?

Greta Thunberg war für einen Tag Chefredakteurin bei Schwedens größter Tageszeitung. Für die einen ist das PR, für andere ein Hoffnungsschimmer.

EU kann Klimaschutz: Wird Merkel doch Klimakanzlerin?

Die Europäische Union hat die notwendigen klimapolitischen Instrumente. Sie müssen nur verschärft werden.

Kampf gegen den Klimawandel: Zwischen Verrat und Verantwortung

Fridays for Future debattieren, ob Aktivist:innen bei Wahlen kandidieren sollen. Viele „Seitenwechsler“ von früher raten ihnen dazu.

FFF-AktivistInnen auf Parlamentskurs: Fridays for Future sucht Strategie

Einige der KlimaaktivistInnen wollen für den Bundestag kandidieren. Das sorgt für Streit bei FFF – und offenbart, dass ein politisches Konzept fehlt.

Klima-Aktivistinnen treffen Merkel: Realpolitik trifft Realismus

Vier Klima-Aktivistinnen fordern von Bundeskanzlerin Merkel mehr Handeln in Sachen Klimaschutz. Die Kanzlerin will vielleicht mutiger werden.

Thunberg und Merkel in New York: Genervt von Small Talk und Selfies

Intermezzo beim UN-Klimagipfel: Ihre kurze Begegnung im letzten Jahr mit Angela Merkel hat Greta Thunberg offenbar eher gestresst als beeindruckt.

Klimabewegung und Diskriminierung: Grüner Rassismus

Auch die Klimaszene hat ein Rassismusproblem. People of Color sind in der Bewegung vor allem willkommen, wenn sie die Vorzeige-Betroffenen spielen.

Trump Jr. lästert über Thunberg: „Wow, einfach so beeindruckend“

Der Fernsehsender CNN lädt Klimaaktivistin Greta Thunberg zum Corona-Talk ein. Er erntet Spott vom Sohn des US-Präsidenten – und nicht nur das.