taz.de -- Corona-Statistik in Frankreich: Schockierende Anstiege aufgeklärt

Nur Todesfälle aus Krankenhäusern kamen in die Bilanz, dann plötzlich auch die aus Altenheimen. So stieg die Zahl der Toten scheinbar sprunghaft an.
Bild: Erschöpfte Mitarbeiterin eines Krankenhauses in Rennes

Paris taz | 8.078 Todesfälle durch Covid-19 in Frankreich – diese erschreckende Bilanz musste der Chef der französischen Gesundheitsdirektion, Jérôme Salomon, am Sonntagabend veröffentlichen. Ein heftiger Ansprung, so schien es – waren es doch zu Wochenbeginn erst 3.024 gewesen.

Doch geändert hat sich in Frankreich zunächst einmal die Erfassung: Anfänglich waren in der täglichen Bilanz, die Salomon den Medien mitteilt, nur die Covid-Todesfälle im Krankenhaus gezählt worden. Jetzt werden nach Möglichkeit auch die Opfer in den Altenheimen des Landes registriert, die in Zusammenhang mit dem Coronavirus stehen, und aufgeschlüsselt bekannt gegeben.

Da Frankreich deshalb an manchen Tagen einen ganzen Schub von Todesfällen aus mehreren Wochen meldete, [1][sind in Statistiken teils schockierende Anstiege zu sehen]. Am 2. April werden so von einem Tag auf den anderen 1.355 neue Covid-19-Todesfälle berichtet – eine Rekordzahl. Jedoch kommt sie zustande durch 884 Tote aus mehreren Wochen in Altenheimen, die an diesem Tag erst gemeldet wurden.

So kam es also, dass Salomon nun bei seiner Bilanz 8.078 Menschen nennen musste, die in Frankreich an der Covid-19-Erkrankung gestorben waren, davon 5.889 in den Intensivstationen der Krankenhäuser und Kliniken, 2.189 weitere in Altenheimen.

Wirkliches Ausmaß kaum absehbar

Hinzufügen müsste Salomon ein relativierendes „mindestens“, denn das wirkliche Ausmaß in den öffentlichen und privat geführten Heimen ist noch nicht absehbar. Längst nicht alle in den letzten drei Wochen verstorbenen HeimbewohnerInnen sind getestet worden. Man muss also von einer weit schlimmeren Dunkelziffer ausgehen.

Bereits Mitte März hatten Direktoren und MitarbeiterInnen von Wohn- und Pflegezentren für die Senioren Alarm geschlagen, dass die Zahl der Coronaopfer in dieser besonders gefährdeten Bevölkerungskategorie eine Zahl von 100.000 erreichen könnte. Immer wieder hatte sich das Personal über die mangelhafte Ausrüstung mit dem nötigen Schutzmaterial beklagt. Außerdem sind oft nur noch die Hälfte der Beschäftigten im Einsatz, weil ein Teil des Personal bereits in Quarantäne ist.

Offiziell zählte Frankreich zu Beginn der Woche etwas mehr als 70.478 Covid-Erkrankte. Die offizielle Zahl sagt wenig aus, da Frankreich bisher viel weniger Tests durchführt als etwa Deutschland. Die Entwicklung kann an der täglichen Zunahme der Todesfälle im Krankenhaus gemessen werden: Mit plus 357 innerhalb von 24 Stunden konnte Salomon einen Rückgang im Vergleich zu den Vortagen als erstes Anzeichen einer Stabilisierung begrüßen.

7 Apr 2020

LINKS

[1] https://www.worldometers.info/coronavirus/country/france/

AUTOREN

Rudolf Balmer

TAGS

Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Coronavirus
Todesfälle
Statistik
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus

ARTIKEL ZUM THEMA

Corona in Frankreich: Die demaskierte Exekutive

Frankreich war auf einen pandemischen Ernstfall fast gar nicht vorbereitet. Der Bevölkerung wurde das verschwiegen.

Aus Le Monde diplomatique: Katastrophenmedizin

Die Austeritätspolitik hat uns Krankenhäuser beschert, in denen Ärzte heute wie im Krieg entscheiden müssen, wer leben darf und wer sterben muss.

Geschlossene Grenzen in Deutschland: Nachbar, ein Virenträger

Im Kampf gegen Corona werden die Schlagbäume gesenkt. Eindrücke aus Aachen, von der polnischen Grenze, entlang der B96 – und aus dem Baumarkt.

Italien kritisiert Niederlande: „Mangel an Ethik und Solidarität“

Der Streit über den Rettungschirm ESM und Corona-Bonds verschärft sich. Zwischen Rom und Den Haag nimmt die Spannung zu.

Coronavirus in Frankreich: Totgesparte Krankenhäuser

Monatelang haben Streikende gewarnt: Frankreichs Gesundheitssystem ist schlecht ausgestattet. Das rächt sich in Zeiten von Corona.