taz.de -- Stromverbrauch im ersten Quartal: Erneuerbare decken über 50 Prozent
Am neuen Ökostrom-Rekord hat Corona nur wenig Anteil, wichtiger waren Sturm und Sonne. Die Zukunftsaussichten bleiben aber düster.
Berlin taz | Neuer Rekord für die erneuerbaren Energien: Im 1. Quartal dieses Jahres stammt erstmals mehr als die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Stroms aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse. Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) vom Mittwoch trugen sie von Januar bis März 52 Prozent zum Bruttostromverbrauch bei. Ein Jahr zuvor lag dieser Wert noch bei 44 Prozent.
An dieser Entwicklung hat der Rückgang der Wirtschaftsleistung durch die Corona-Epidemie nur einen geringen Anteil. Der Stromverbrauch liegt aktuell zwar um etwa 8 Prozent niedriger als üblich, was bei gleichbleibender Erneuerbaren-Produktion einen höheren Ökostromanteil zur Folge hat. Doch das betrifft vor allem die letzte und in geringerem Ausmaß die vorletzte Märzwoche, so dass es sich in der Gesamtbilanz bisher nur wenig auswirkt: Insgesamt war der Stromverbrauch im ersten Quartal 2020 laut BDEW nur 1 Prozent geringer als im gleichen Vorjahreszeitraum.
Wichtiger für die Entwicklung war das Wetter: Im Februar sorgten [1][mehrere Stürme] für ungewöhnlich viel Windstrom, und im März produzierten die Fotovaltaikanlagen durch überdurchschnittlich viel Sonnenschein mehr Strom als normalerweise um diese Jahreszeit.
Die BDEW-Geschäftsführerin Kerstin Andreae warnt darum davor, die Zahlen als Beleg dafür zu sehen, dass die Energiewende auf dem richtigen Weg sei. Man müsse sich „vor Augen halten, dass es sich um eine Momentaufnahme handelt und viele Sondereffekte hinein spielen“, sagte sie. „Die Rekordzahlen stehen in scharfem Kontrast zur dramatischen Situation beim aktuellen Ausbau von Wind- und PV-Anlagen.“
Der Bau neuer Windanlagen kommt in Deutschland derzeit deutlich langsamer voran als nötig, weil zu wenig Gebiete für Windräder ausgewiesen werden und zudem viele Projekte durch Klagen behindert werden. Selbst die aktuell vorgesehenen Ausbaumengen – die für die Klimaziele der Bundesregierung noch keineswegs ausreichend sind – werden darum nicht verwirklicht. Bei der jüngsten Auschreibung für Windräder an Land machten die Gebote weniger als 60 Prozent der ausgeschriebenen Leistung aus.
Kritik am „Solardeckel“
Bei der Solarenergie ist das Interesse an neuen Projekten dagegen groß. Hier droht aber ein Einbruch, weil die Gesamtmenge an geförderten Projekten bisher durch den sogenannten Solardeckel begrenzt ist. Dieser wird im Sommer dieses Jahres erreicht und die Regierung hat seine Abschaffung mehrfach angekündigt; doch schon jetzt gibt es nach Branchenangaben wegen der unklaren Lage Probleme bei der Finanzierung neuer Anlagen.
Die Regierung wollte den weiteren Ausbau der Windenergie und die Abschaffung des Solardeckels eigentlich schon längst gesetzlich regeln. Weil Teile der Unionsfraktion als Voraussetzung dafür aber auf pauschalen Mindestabständen von Windrädern zu Wohnhäusern bestehen, die den Windausbau nach Ansicht von ExpertInnen weiter ausbremsen würden, [2][liegt dieses Vorhaben weiter auf Eis]. Hier drängt der BDEW jetzt zur Eile. „Werden die Hemmnisse und Deckel hier nicht zügig beseitigt, ist das 65 Prozent-Ziel bis 2030 kaum zu erreichen“, sagte Andreae.
Erneuerbare als Mittel gegen Corona-Krise
Die aktuelle Belastung dürfe keineswegs als Grund für weitere Verzögerungen dienen, sondern verstärke den Handlungsbedarf, meint auch Frithjof Staiß vom Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg. „Gerade angesichts des wirtschaftlichen Einbruchs durch die Corona-Krise lohnen sich mehr Investitionen in Erneuerbare Energien“, sagte er. „Bei der Errichtung von Windenergie- und Solaranlagen bleibt im Vergleich zur Nutzung fossiler Energien ein deutlich größerer Anteil der Wertschöpfung im Land. Das wirkt sich positiv auf die Konjunktur und die Unternehmen aus.“
1 Apr 2020
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