taz.de -- Die Wahrheit: Der SUV der Sprache
Seit einiger Zeit walzt sich durch die Straßen der Kommunikation ein massives Adjektiv, das alle anderen Wörter massiv beiseite rammt.
Als Verächter von „Star Trek“ fühle ich mich in jüngster Zeit eher unangenehm an die eine Folge namens „Kennen Sie Tribbles?“ erinnert. Darin taucht an Bord der „Enterprise“ ein flauschiges Pelztierchen auf, dem wegen dessen pelziger Flauschigkeit die Herzen der Besatzung nur so zufliegen. Allerdings vermehrt sich das Geschöpf mit bedenklicher Geschwindigkeit. Nach drei Tagen sind es bereits 1.771.561 Tribbles, die der Besatzung gehörig auf den Geist gehen und das Raumschiff beinahe aus allen Nähten platzen lassen.
Eine vergleichbare Karriere macht momentan ein Adjektiv, dessen besinnungslose Benutzung zu seiner tribblehaften Vermehrung in den Medien geführt hat. Mit massiven Konsequenzen drohte erst neulich faselnd ein Faschist dem ZDF, das wiederum den Iran massiv unter Druck sieht, während andernorts massive Regenfälle oder Waldbrände wüten, weshalb die Feuerwehr ebenso massiv aufrüstet, wie irgendeine Firma massive Investitionen tätigt, weil sonst „massive“ Aktienverluste an der Börse drohen, wenn nicht sogar massive Einschränkungen in der Meinungsfreiheit, wogegen wiederum eine massive Mehrheit massive Bedenken anmelden würde.
Irre, was plötzlich alles massiv sein kann. Früher bezeichnete das Wort in erster Linie etwas, das nicht nur an der Oberfläche aus einem festen Material bestand, ein Klotz aus massivem Eisen etwa oder eine Schrankwand aus massiver Eiche. Eine Begegnung mit dem Massiven ist nicht immer ein Vergnügen, man denke nur an Brückenpfeiler. Weshalb massiv auch als Synonym für etwas Heftiges oder Grobes verwendet wurde und dann zu massiven – statt nur „großen“ – Schmerzen führte.
In diesem schwammigsten aller Wortsinne ist massiv inzwischen das Blähwort der Stunde. Wie ein supermassives Schwarzes Loch hat es alle umliegenden Bedeutungen eingesaugt. Nichts ist mehr heftig, stark, katastrophal, arg, alles ist massiv. Und greift weiter um sich, weil es in jedem Satz wirkt wie Glutamat in der Nudelsuppe. Ein Dringlichkeitsverstärker.
„Frau mit Anrufen belästigt“, „Gaffer behindern Feuerwehr“ oder „Regierung kritisiert“? Alles keine Nachricht mehr, wenn die Frau nicht massiv belästigt, die Feuerwehr massiv behindert und die Regierung massiv kritisiert wurde. Es ist der SUV im Fuhrpark unserer Sprache, mit massiv fährt man alles platt.
Insofern ist massiv verschwistert mit „alternativlos“, einer milderen Variante autoritären Sprechens. Weshalb es sich – noch! – nicht in die Alltagssprache vorgewagt hat. Kein Mensch von Trost schwärmt von einem massiven Orgasmus, hier bleibt als einzig gültige Steigerung der „multiple“. Auch ein Satz wie „Ich habe dich ganz massiv lieb“ fiel gewiss noch nie, und wenn, dann seinem Sprecher hoffentlich massiv auf die Füße.
Mir jedenfalls geht das Adjektiv einigermaßen auf die Nerven.
27 Sep 2019
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