taz.de -- Diese-Genossenschaft und Vorkaufsrecht: Kommunisten auf Shoppingtour

Die „Diese eG“ kauft Häuser über das Vorkaufsrecht, um sie vor Spekulanten zu schützen. Jetzt muss sie sich gegen Anschuldigen verteidigen.
Bild: Kommunisten auf Shoppingtour.

Berlin taz | Wie der Kommunismus zum zweiten Mal die Stadt unterwirft, ist eine Geschichte, die mit ein paar Zutaten ganz gut erzählt werden kann: Man nehme eine Lichtenberger Genossenschaft, unterwandert von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher und weiteren Linke- und Stasi-Kadern, die sich schlagartig einen neuen Zweck gab: die Einverleibung von Wohnhäusern, auch im Westen der Stadt. Im Zusammenspiel mit dem Xhainer Baustadtrat Florian Schmidt werden nun Immobilienfirmen Häuser entrissen und der mittellosen Genossenschaft zugeschustert.

So jedenfalls hyperventiliert es der von oben klassenkämpfende [1][Tagesspiegel ] in seiner Story „Der Stadtrat, die Senatorin und der Stasi-Offizier“. Die SPD war verwirrt und mahnte Aufklärungsbedarf an, die FDP träumte schon von Rücktritten und einem U-Ausschuss.

Nun zu den Fakten: Immer häufiger greifen Bezirke in private Hausverkäufe in Milieuschutzgebieten ein und üben das [2][Vorkaufsrecht] aus, 28 Mal allein Friedrichshain-Kreuzberg. Doch die überhöhten Preise schreckten zuletzt immer öfter Wohnungsbaugesellschaften vor dem Einstieg in die Verträge ab. Um dem Ausverkauf an Spekulanten nicht tatenlos zuzusehen, hat sich die [3][Genossenschaft Diese eG] gegründet und widmete eine inaktive Genossenschaft um, deren früherer Zweck die Sanierung des Stadtbades Lichtenberg war und deren damaliger Vorsitzender hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter war. An der Neuausrichtung der Genossenschaft war er nicht beteiligt.

„Wir sind für die Häuser da, die sonst keiner rettet“, sagt Elena Poeschl, Vorstandsmitglied der Diese eG, der taz. Seit Mai hat Xhain in fünf Fällen sein Vorkaufsrecht für die Diese eG ausgeübt, zuletzt für die [4][Holteistraße 19/19a]; insgesamt für 103 Wohnungen. Am Montag kam noch ein Haus am Heckmannufer 8 hinzu sowie ein erster Fall in Schöneberg: Dort übt der Bezirk das Vorkaufsrecht für die Diese eG für den Häuserkomplex Gleditschstraße 39–43 aus. Sieben Häuser für, so sagt es der Genossenschaftschef Werner Landwehr der taz, insgesamt 49 Millionen Euro.

Die Frage der Finanzierung

Dabei, so ein weiterer Vorwurf, habe die Genossenschaft gar kein Geld für diese Investitionen. Richtig ist: Den Zuschlag für den Kauf der Häuser erhielt die Genossenschaft nicht auf Grundlage konkreter Finanzierungszusagen, sondern ihrer Pläne. Das Xhainer Bezirksamt stufte diese als „plausibel“ ein.

Mindestens zehn Prozent der jeweiligen Kaufsumme sollen die Mieter selbst stemmen, in dem sie für 500 Euro pro Quadratmeter ihrer Wohnfläche Genossenschaftsanteile erwerben. „Für Mieter aller Einkommensgruppen gibt es dafür Finanzierungsmodelle“, sagt Poeschl. In allen Häusern haben sich mindestens 70 Prozent der Mieter freiwillig dazu verpflichtet.

Zudem rechnete die Genossenschaft von Anfang an mit einem zehnprozentigen Zuschuss zum Kaufpreis durch das Land Berlin – analog zu den Hilfen, die auch die Wohnungsbaugesellschaften erhalten. Ein entsprechender Senatsbeschluss wurde am vergangenen Mittwoch durch den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses bestätigt.

Der Löwenanteil von 75 Prozent des Geldes soll über Darlehen der öffentlichen Investitionsbank Berlin und der GLS-Bank finanziert werden. „Das ist alles auf Kante genäht“, sagt Landwehr unumwunden. Dies müsse auch so sein, um die Mieten trotz der Spekulationspreise stabil halten zu können.

Vorwürfe eines Verkäufers, er warte vergeblich auf sein Geld, erklärt Landwehr mit einem Unverständnis der Rechtslage: Erst mit der notariellen Beurkundung des Kaufs durch die Diese eG würden die Fristen für die Ratenzahlung festgeschrieben. Inzwischen seien für die ersten beiden Häuser zusammen 300.000 Euro überwiesen worden. Der Kauf des dritten Hauses in der Forster Straße wurde am Montag bestätigt.

Gegen die kampagnenartige Berichterstattung haben die Mieter der fünf Häuser in einem offenen Brief und mit einer Twitter-Kampagne Stellung bezogen. Florian Schmidt ging auf die Gegner seiner Rekommunalisierungsbestrebungen ein: „Denn Sie haben allen Grund, um ihre Pfründen zu fürchten. Wir nehmen ihnen ihre geliebten Renditespielzeuge weg.“

12 Aug 2019

LINKS

[1] https://m.tagesspiegel.de/berlin/haeuserkampf-in-berlin-der-stadtrat-die-senatorin-und-der-stasi-offizier/24879866.html?fbclid=IwAR2Wk5NdcA9yTMGhMxjIYi-klroapxADr7QpLRixZnf1oo_fUOqNPYMTJsM
[2] /Vorkaufsrecht/!t5430677/
[3] /Genossenschaft-fuer-Vorkaufsfaelle/!5593673/
[4] /Im-Haifischbecken/!5607922/

AUTOREN

Erik Peter

TAGS

Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Florian Schmidt
Vorkaufsrecht
Stasi
Vorkaufsrecht
Florian Schmidt
Florian Schmidt
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Florian Schmidt
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin

ARTIKEL ZUM THEMA

Genossenschaft Diese eG: Kredite in letzter Sekunde

Die MieterInnen der Häuser, die die Diese eG über das Vorkaufsrecht erworben hatte, können aufatmen. Die Genossenschaft erhält Landesdarlehen.

Genossenschaft „Diese eG“ in Berlin: Angst vor der Insolvenz

Seit Montag verhandeln Senat und die Investitionsbank Berlin über ein Darlehen. Donnerstag soll die Entscheidung fallen.

Berlin nach dem Mietendeckel: Häuserkrampf geht weiter

Den abgesagten Vorkauf eines Hauses durch den Bezirk will die Opposition nutzen, um das Mittel an sich zu diskreditieren. Doch der Fall ist komplexer.

Vorkaufsrecht in Berlin-Kreuzberg: Wider die Spekulation

Erneut hat Friedrichshain-Kreuzberg das Vorkaufsrecht gezogen – doch dieses Mal will der Bezirk nicht den spekulativen Kaufpreis zahlen. Geht das?

Im Haifischbecken: Zahnärzte wollen Kasse machen

Eine Hausgemeinschaft wehrt sich gegen ihren Verkauf. Am Käufer Fortis Group ist das Versorgungswerk der Zahnärzte aus Schleswig-Holstein beteiligt.

Genossenschaft für Vorkaufsfälle: Eine frische und gewinnende Idee

Neue Mietergenossenschaft fürs Vorkaufsrecht gegründet, wenn kommunale Unternehmen nicht einspringen können. Ein Wochenkommentar.

Genossenschaft für Vorkaufsfälle: Aus Mietern werden Genossen

Die neue Mietergenossenschaft „Diese eG“ soll Häuser retten, die nicht von kommunalen Unternehmen gekauft werden. Ein erster Kauf läuft schon.