taz.de -- Vier KundenInnenbewertungen: Amazon, Du kriegst mich nicht

Ist doch super, wenn man sich den Wischmop noch am selben Tag zuliefern lassen kann! Oder sollte man Amazon grundsätzlich boykottieren?
Bild: Amazon – bloß nicht?

☆☆☆☆☆ Ich brauch dich nicht

Ich führe ein Leben ohne Amazon. Obwohl mein Zeitbudget für analoges Shopping gen null geht. Job, Kind, Ehrenamt, Freizeit. Keine Zeit, nie. Mach’s doch mit Amazon, sagen meine Freund*innen. No way, sage ich. Obwohl ich Fan von KI und digitalem Schnickschnack bin. Denn ich habe keine Lust, dass Jeff Bezos weiß, welche Schuhe ich mag, dass ich eine Fahrradlampe brauche und mein Kind sich eine Federtasche mit Drachen wünscht. Ich mag auch nicht, dass er meinen Einkauf bewertet, mir mehr Angebote schickt, und auch seinen Umgang mit Arbeiter*innen in der Logistik kann ich nicht leiden. Sorry, Amazon: Du kriegst mich nicht. Never. Denn es gibt ein Leben ohne dich.

von [1][Tanja Tricarico]

────────────────────

★☆☆☆☆ Offline

Schon Günter Grass kaufte hier gerne ein, als er noch in der Nähe meiner Buchhandlung wohnte. Sie hat eine wackelige Treppe hoch in die Reiseecke und eine Abteilung für Kiez-Bücher, der Parkettboden knarzt herrlich. Meine Buchhandlung wurde 1713 gegründet, sie ist die älteste der Stadt. Sie ist 80 Quadratmeter groß und hat „nur“ 8.000 Titel vorrätig, aber die Buchhändler wissen immer, was ich gerade brauche – und bestellen. Auf Nachfrage packen sie mir den Houellebecq, den Mankell oder auch ein Pixi-Buch in schickes Geschenkpapier und murren kaum, wenn ich nur die Karte zücke. Nicht mal die Hälfte des Umsatzes mit Büchern wurde 2018 im stationären Handel verdient, Tendenz sinkend. Jedes 5. Buch wurde online verkauft, Tendenz steigend. Eigentlich schade. Ermutigend: Mein Laden wird es auch weiter packen.

von [2][Kai Schöneberg]

────────────────────

★★★★★ Willkommen im 21. Jahrhundert!

Neulich wollte ich einen Wischmop kaufen. Im Baumarkt sollte der Lappen 19,90 Euro kosten. Ich zog mein Handy raus. Zwei Stück für 8,99 Euro. Lieferung bis heute Abend. Ohne Amazon gäbe es die feministischen Serien „Transparent“ und „Fleabag“ nicht. Ohne Amazon wäre die Washington Post wahrscheinlich tot. Und an Fans der Innenstädte: Das 20. Jahrhundert ist vorbei. Fußgängerzonen sind die Hölle, ein Geschäft für Matratzen kein Kulturgut. Die Arbeitsbedingungen sind eine Frage für Gewerkschaften. Digitalisierungsängste auf Amazon zu reduzieren, ist antiamerikanisch (Warum boykottiert ihr nicht den Otto-Versand?). Boykotteure verwechseln Moral mit Politik.

von [3][Kersten Augustin]

────────────────────

★★★☆☆ Paketscham

Ausgerechnet im Bioladen gegenüber! Da, wo ökologisch aufmerksame Menschen sich nahezu plastikfrei mit korrektem Zeug eindecken, landen meine säuischen Amazon-Pakete, wenn ich nicht zu Hause bin. An der Tür des Mietshauses, in dem ich wohne, klebt dann für gut zwei Dutzend BewohnerInnen sofort sichtbar ein orangefarbener Benachrichtigungszettel mit meinem Namen drauf: „Kullmann war’s!“

Ja, es kommt vor, dass ich Bücher über jene Plattform ordere. Aber: ausschließlich US-Werke, die meisten antiquarisch, die ich sonst nur schwer oder sehr viel später bekomme würde. „Ich bin Amerikanistin, es hat berufliche Gründe.“ So entschuldige ich mich beim Abholen, denn ich schäme mich wirklich dafür. Besonders seit ich Heike Geißlers Reportage „Saisonarbeit“ las: Die Autorin erzählt in jenem Buch über ihre Tätigkeit im Leipziger Amazon-Lager – übel! Ich kaufte es nicht beim bösen Riesen.

von [4][Katja Kullmann]

5 Jul 2019

LINKS

[1] /Tanja-Tricarico/!a41477/
[2] /Kai-Schoeneberg/!a140/
[3] /Kersten-Augustin/!a22605/
[4] /Katja-Kullmann/!a40800/

TAGS

Amazon
Jubiläum
Konsum
Online-Shopping
Fernsehen
Amazon
Amazon Prime
Amazon
Amazon
Kirchentag 2023
Alexa

ARTIKEL ZUM THEMA

Emmy-Awards-Gewinnerin Waller-Bridge: Geschüttelt, nicht gerührt

Phoebe Waller-Bridge, Erfinderin der Serie „Fleabag“, ist große Siegerin der Emmy-Awards-Verleihung – und Co-Autorin des neuen James-Bond-Drehbuchs.

Schwere Vorwürfe von US-Finanzminister: „Amazon hat Einzelhandel zerstört“

Trump mag Amazon ohnehin nicht, jetzt nimmt die US-Regierung den Online-Riesen richtig unter Beschuss. Amazon verteidigt sich gegen die Kritik.

Kolumne Fremd und befremdlich: Das große Wegwerfen

Im Internet-Zeitalter können wir alles haben, was wir uns ausdenken können. Das ist unser Film, unsere Wirklichkeit und unser Alptraum.

Druck vom Bundeskartellamt: Amazon netter zu Händlern

Auf Druck des Bundeskartellamts passt Amazon seine Geschäftsbedingungen für Händler an. Jetzt ermittelt die EU-Kommission gegen den Konzern.

Versandhändler Amazon wird 25: Warum kaufen Leute bei Amazon?

Der US-Konzern perfektioniert die Kundenbindung – mit allerlei Tricks. Auf seine Händler- und Mitarbeiter:innen nimmt Amazon keine Rücksicht.

Betende Sprachassistenten: Alexas Ansprache an den Herrn

Wenn Sprachassistenten beten können, wer oder was glaubt denn da an Gott? Zu einem irritierenden Vorschlag des Medienbischoffs Volker Jung.

Überwachung von Smart-Home-Geräten: Alexa soll Zeugin werden

Innenminister Seehofer will, dass Sprachassistenten abgehört und die Daten als Beweise verwendet werden dürfen. Datenschützer schlagen Alarm.