taz.de -- Kommentar G20-Prozess ohne Presse: Kontrolle ausgehebelt

Ein Gericht schließt die Öffentlichkeit vom Prozess zur Brandschatzung der Hamburger Elbchaussee beim G20 aus. Das macht eine faire Berichterstattung umöglich.
Bild: Wird so bald nicht mehr zu sehen sein: Prozessszene im Landgericht.

Der Ausschluss der Öffentlichkeit im Elbchaussee-Prozess ist ein Schlag ins Gesicht der Angeklagten, aber auch der Öffentlichkeit. Abgesehen davon, dass die Angeklagten gar nicht vor der Öffentlichkeit geschützt werden wollen und sich jetzt ihrer Rechte beraubt fühlen, wird die gesetzlich gewollte Kontrolle der Judikative durch diese selbst ausgehebelt.

In diesem G20-Prozess geht es eben nicht nur um die individuelle Schuld und das individuelle Schicksal der Angeklagten. Setzt sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Auffassung durch, schreibt sie Rechtsgeschichte. Dann kann jeder, der auch nur für kurze Zeit auf einer sich unfriedlich entwickelnden Demonstration mitmarschiert ist, für alle Ausschreitungen strafrechtlich verantwortlich gemacht werden, auch wenn er diese selber nicht begangen oder den Ort des Geschehens schon längst verlassen hat. Die Öffentlichkeit aus einem Verfahren auszuschließen, in dem die Axt derart an das Demonstrationsrecht gelegt wird, ist nicht zu rechtfertigen.

Das Gericht begründet den Ausschluss der Medien auch mit einer in Teilen voreingenommenen und vorverurteilenden Berichterstattung. Abgesehen davon, dass dies bei jedem Verfahren den Ausschluss der Medien begründen könnte und zudem selbst eine kollektive Vorverurteilung – dieses Mal der Medienschaffenden – bedeutet, ist eine ausgewogene Berichterstattung gerade durch einen Ausschluss aus dem Prozessgeschehen nicht mehr möglich.

Denn wir JournalistInnen sind nun genötigt, an Stelle unser eigenen Beobachtungen interessengeleitete Einschätzungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung ungeprüft – weil ausgesperrt – zu übernehmen. In der Praxis munitionieren beide Seiten nur die JournalistInnen, von denen sie sich eine Veröffentlichung ihrer Sichtweisen erhoffen – eine unabhängige Berichterstattung ist damit faktisch unmöglich.

Wenn die Richterin betont, es gäbe faire Gerichtsverfahren auch ohne Öffentlichkeit, verkennt sie, dass der Gesetzgeber bewusst die Öffentlichkeit als Kontrollinstanz will. Sie verkennt aber auch, dass es zwar faire Prozesse ohne Öffentlichkeit geben mag, nicht aber eine faire Prozessberichterstattung aus zweiter Hand.

10 Jan 2019

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Marco Carini

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