taz.de -- WM-Außenseiter Island: Huh?
Wie es geschehen konnte, dass das kleine Island cool der Fußballweltmacht Argentinien ein 1:1 abtrotzt und Lionel Messi zweifeln lässt.
Es gab einst diese Feldherrn, die mit gezücktem Säbel voranritten, den feindlichen Linien entgegen, die eigenen Leute mitreißend, Freiheit oder Tod, Sieg oder Kopf ab. Diese Feldherrn, die sich abends, wenn sie den Weg zurück ins Lager geschafft hatten, glückstrunken bei ihrem Gott bedanken konnten, dass sie es irgendwie durchs Getümmel geschafft haben, ohne vom Pferd geballert worden zu sein.
Island hatte bestimmt auch mal so einen Feldherrn. In irgendeiner Schlacht gegen irgendwen. Jedes Land hat solche Typen (Haudegen!) in seiner Historie. Aber es ist kaum vorstellbar, dass dieser isländische Feldherr Kopf und Kragen riskierte. Im Gegenteil: Er wird das ganze Schlachtengeschehen vorher akkurat durchgeplant und dann auf die Abgeklärtheit seiner Leute vertraut haben. Und obwohl seine Truppe eigentlich unterlegen war, der Plan aber gut ausgetüftelt und umgesetzt, einigte man sich mit dem übermächtigen Gegner kurz vor Feierabend auf eine Waffenruhe.
So muss es gewesen sein, wenn man sich die aktuelle isländische Fußballnationalmannschaft anschaut und wenn es stimmt, dass Geschichte sich wiederholt. Island ist Außenseiter bei seiner ersten WM, aber kein so richtig krasser. Warum? Weil Island einen Plan hat, der aufgeht. Zumindest im ersten Spiel, dem [1][1:1 gegen Argentinien Sonntag im Moskauer Spartak-Stadion].
Wirksamer Plan
Da versuchten die Südamerikaner immer wieder über Lionel Messi zum Erfolg zu kommen, aber dem Mann vom FC Barcelona standen stets zwei isländische Abwehrreihen gegenüber. Ein paar Abschlüsse gelangen trotzdem. Argentinien ging gar 1:0 durch Sergio Aguero in Führung (19. Minute). Doch Island glich gleich vier Minuten später aus. Einen gehaltenen Messi-Elfmeter (64.) später hatte Island bei seinem ersten WM-Turnier im ersten Spiel den ersten WM-Punkt seiner Geschichte eingesammelt. Ganz nüchtern.
„Unser Plan hat funktioniert wie geplant“, sagte der isländische Torschütze Alfred Finnbogason nach der Partie. So einfach. Dieser Plan ist nicht unbedingt ein schöner Plan, aber ein wirksamer. Wie 2016 in Frankreich, als sich Europa an den Spielen dieses kleinen Landes berauschte, am kollektiven „Huh“-Ruf seiner Fans in den Stadien, am Sieg im Achtelfinale gegen England.
Allerdings berauschte sich das Publikum an den Ergebnissen, nicht am feinen Spiel. Das boten die Isländer nämlich nicht – und das ist 2018 wieder so. Sie greifen nicht mit Säbel an, sind keine Zocker, attackieren nicht wie Braveheart, nein, die Isländer halten ihre Stellungen, brechen immer wieder mal aus – und einigen sich dann auf Unentschieden. Oder holen auch mal einen knappen Sieg.
Ob es danach eine kleine Feier in der Kabine gegeben habe, wurde Finnbogason nach dem Spiel noch gefragt. Antwort: „Nein.“ Wie sonst: ganz nüchtern.
17 Jun 2018
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