taz.de -- Mitarbeiter über Obdachlosenzeitung: „Andere Projekte sind lukrativer“
Der „Strassenfeger“ wird eingestellt, der Verein setzt nur noch auf Notunterbringung. Mitarbeiter Werner Franke bedauert das – und denkt an ein Nachfolgeprojekt.
taz: Herr Franke, die Mitgliederversammlung des Strassenfegers hat am Montag mehrheitlich beschlossen, die Obdachlosenzeitung einzustellen. Sie haben dagegen gestimmt. Wie enttäuscht sind Sie?
Werner Franke: Ich bin sehr enttäuscht. An der Entscheidung hängen nicht nur wir Vertriebsmitarbeiter dran, sondern auch 200 bis 250 Verkäufer. Sie alle haben sich durch den Verkauf ein kleines Zubrot verdienen können. Für viele hat diese Aufgabe eine wichtige Struktur in ihrem Leben geschaffen. Außerdem stirbt damit ein Stück Berliner Tradition.
Die Zeitung hat ihre Anfänge im Jahr 1994, damals zunächst als mob-Magazin.
Damals haben sich Obdachlose zusammengefunden, die selbst über ihr Schicksal berichten wollten. Die konnten durch Zuschüsse die ersten Redaktionsräume in der Schliemannstraße anmieten, wo sie tagsüber die Zeitung gemacht und nachts ihre Schlafsäcke ausgerollt haben. Die Zeitung hat sich dann langsam weiterentwickelt, seit Ende 1995 unter dem Namen Strassenfeger.
Seit wann sind Sie dabei?
Ich bin 2006 dazugestoßen. Damals war ich selbst wohnungslos und habe Zeitungen verkauft. Später ging ich in den Vertrieb. Am Ostbahnhof und am Bahnhof Zoo hatten wir Vertriebswagen. Dort haben wir die Zeitungen zum Selbstkostenpreis von 60 Cent an die Verkäufer weitergegeben. Die haben sie dann für 1,50 Euro pro Ausgabe weiterverkauft und konnten den Rest des Gelds für sich behalten.
Mit welchen Gründen haben die Befürworter der Einstellung argumentiert?
Das sind vor allem finanzielle Gründe. Die Projekte des Vereins, die Zeitung und der Obdachlosentreff, sollen Verluste gemacht haben. Nur die Notunterbringung in der Storkower Straße stehe positiv da. Zudem sollen die Rücklagen in den vergangenen Jahren aufgebraucht worden sein. Leider ist dem Antrag auf Einstellung der Zeitung, der maßgeblich vom Vorstand forciert wurde, stattgegeben worden, mit 16 zu 9 Stimmen.
Die Zeitung hatte zuletzt eine Auflage von 10.000 bis 12.000. Zu wenig?
Es ist ja ein allgemeines Problem, dass die Auflagen der Printmedien rückläufig sind. Das betrifft auch die Straßenzeitungen. Vor einigen Jahren war der Strassenfeger noch bei 15.000. Allerdings gibt es Städte, in denen solche Zeitungen eine deutlich höhere Auflage erzielen. Aber der Verein wollte sich wohl auf die Notübernachtung konzentrieren – die ist wesentlich lukrativer.
Der Obdachlosentreff Kaffee Bankrott soll ebenfalls geschlossen werden.
Richtig, es wird aber wohl versucht, einen anderen Träger zu finden, der den Treff übernehmen kann. Unser Verein mob e. V. will stattdessen noch eine Übernachtungsstelle schaffen. Es gibt einen leer stehenden Raum, in dem der Verein früher ein Gebrauchtwarenhaus, den Trödelpoint, betrieben hat. Darin soll jetzt eine Notübernachtung für Familien entstehen. Dafür gibt es vom Senat hohe Zuschüsse.
Was hätte Ihrer Meinung nach dafür gesprochen, die Zeitung weiterzubetreiben?
Wir haben die Zeitung immer als Selbsthilfeprojekt definiert. Für die Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, die ausgepresst sind, keinen Job mehr kriegen und von dem Erlös der Zeitung leben oder ihren Lebensunterhalt damit ein bisschen verbessern, ist so ein Projekt ganz, ganz wichtig. Unser Pendant, die Straßenzeitung Motz, hat wohl einen Aufnahmestopp für neue Mitarbeiter. Da können wir also nicht unterkommen.
Was ist die Alternative?
Es gibt Überlegungen für eine Nachfolgezeitung. Einige Kollegen aus der Redaktion wären dafür bereit. Allerdings gibt es da große Hürden. Das fängt schon beim Namen an: Der Name Strassenfeger ist geschützt. Wenn wir jetzt versuchen, eine Zeitung neu zu gründen, dürfen wir den Namen nicht verwenden. Man müsste einen Namen erfinden, der so ähnlich ist, dass die Käufer darauf schließen können, dass das der Nachfolger ist.
Und das Geld?
Momentan fehlen uns Kapital oder Anschubfinanzierung, um so eine Zeitung zu erstellen. Man müsste also einen gemeinnützigen Verein gründen, der dann bei „Aktion Mensch“ oder anderen Sponsoren betteln gehen kann. Das ist sehr aufwendig.
19 Jun 2018
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