taz.de -- Dialogbuch zu Linken und Antisemitismus: Grenzen des Revolutionären
Wolfgang Seibert und Miklós Klaus Rózsa unterhalten sich – über sich und das merkwürdige Verhältnis der antiimperialistischen Linken zu Israel.
[1][Wolfgang Seibert] und Miklós Klaus Rózsa haben eine linksradikal bewegte Vergangenheit mit einem blinden Fleck: Erst spät begannen beide sich mit ihrer eigenen jüdischen Herkunft und dem Umgang ihres linksradikalen Umfeldes mit der Frage des Antisemitismus zu beschäftigen. Einige ihrer Dialoge zu diesem Komplex liegen jetzt als kleines Buch mit einem kritisch einführenden Beitrag des Historikers Johannes Spohr vor.
Wolfgang Seibert ist ein linksradikaler, 70-jähriger Demogänger gegen Nazis, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Pinneberg, der nur bedauert, dass er sich nicht mehr so intensiv im Widerstand auf der Straße engagieren kann. Der sieben Jahre jüngere Miklós Klaus Rózsa, der als junger Mensch Sympathien für die RAF hegte, setzte sich in Zürich für linksautonome Freiräume ein und wurde für die Polizei als Fotograf über Jahrzehnte ein rotes Tuch – zugleich aber auch Zürcher Gewerkschaftsvorsitzender.
Seiberts Großeltern waren Anarchisten, der Großvater im Spanischen Bürgerkrieg in der Kolonne Durruti, die Großmutter überlebte das KZ Auschwitz. Aber sie erzählten von dieser Vergangenheit fast nichts. In der politischen Entwicklung des Enkels über SDS und DKP waren Israel und Palästina ein Thema, das lange strikt nach den Regeln des kommunistischen Weltbilds behandelt wurde. Bei dem in Budapest geborenen Rózsa kam zur KZ-Vergangenheit des Vaters 1956 die Flucht in die Schweiz nach der sowjetischen Niederschlagung des ungarischen Aufstands. Mehr als 40 Jahre lang blieb Rózsa Staatenloser, den die Schweizer Behörden als unnachgiebigen Dokumentaristen der Züricher Jugendunruhen der 1980er illegal verfolgten und in seiner Arbeit behinderten.
In den antiimperialistischen Zusammenhängen fiel Rózsa erst sehr spät deren merkwürdiges Verhältnis zu Judentum und Israel auf. Hier zählte, Befreiungsbewegungen per se zu unterstützen – welche Ziele diese vertraten, wurde kaum diskutiert. Von daher gehörte unbesehen auch die Unterstützung der PLO zum antiimperialistischen Programm. Es zeigten sich hier oft Verbindungen, die weder emanzipatorisch noch links waren.
Israel als Staat für Juden ist unabdingbar
Seibert führt aus, dass er nach dem Sechstagekrieg vor 50 Jahren, als Israel die arabischen Bedroher angriff, oft in einem antizionistischen Umfeld seine Zweifel bewusst unterdrückte. Die Entführung einer Lufthansa-Maschine nach Entebbe, bei der PFLP- und deutsche „Revolutionäre Zellen“-Akteure jüdische Passagiere selektierten, bildete eine entscheidende Wende. „Das war für mich ein absoluter Schreck und eine absolute Horrorvorstellung, das war ’ne neue Dimension. Und als dann der Angriff der Israelis auf die Maschine war, das muss ich ehrlich zugeben, hab ich mich gefreut darüber.“ Rózsa verhinderte als Gewerkschafter später, dass die an dieser Entführung aktive Leila Khaled bei einer 1.-Mai-Kundgebung in Zürich sprechen konnte.
Was trägt das Buch zur aktuellen Antizionismus-, Antisemitismus-, Israeldebatte bei? Seibert und Rózsa verweisen vor allem auf die „Naivität“ der Linksradikalen, die durch die dogmatische Erklärung des Zionismus als Imperialismus die Frage der jüdischen Vergangenheit ausblendeten und dann Fakten, wie den, dass die PLO auch mit Nazis militante Politik machte, ignorierten.
Beide halten Israel als Staat für Juden für unabdingbar, dessen negative Erscheinungen nicht generell als Angriffsinstrument gegen das Judentum gebraucht werden sollten. Man kann das Buch auch als Ausdruck einer Krise jener linksradikalen Politiken lesen, die glaubten, ein klares „revolutionäres“ Ziel verfolgen zu können.
20 Dec 2017
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