taz.de -- Martin Kind über Kontrolle in Hannover: „Gut, weil wir so entschieden haben“

Der Präsident von Hannover 96 spricht im Interview zu Ultras und der 50+1-Regel. Er erklärt, warum ein Verkauf der Profiabteilung bevorsteht.
Bild: Martin Kind bei einer Pressekonferenz zur Zukunftsplanung von Hannover 96

taz: Herr Kind, auch im Nordderby gegen den Hamburger SV werden die 96-Ultras wohl aus Protest gegen Sie dem Team ihre Unterstützung versagen. Haben Sie sich damit schon abgefunden?

Martin Kind: Wenn Sie im ersten Heimspiel gegen Schalke in der Arena waren, dann wissen Sie, dass die Stimmung gut war. Die Nordkurve besteht nicht nur aus den Ultra-Gruppierungen. Gegen Schalke haben die Besucher der anderen Blöcke das Team toll unterstützt. So gut wie lange nicht mehr, würde ich sagen.

Das heißt, die Ultras spielen für Sie künftig keine Rolle mehr?

Wir geben die Ultras nicht auf, es gibt keine Alternative zum Dialog. Vielleicht kann ich sie irgendwann vom „Hannover-Modell“ überzeugen.

Das Hannover-Modell bedeutet, dass die bislang geltende 50+1-Regel, nach der Kapitalanleger nicht die Stimmenmehrheit besitzen dürfen, nicht mehr zählt. Die Ultras aber wollen den Status quo erhalten, die Macht von Kapitalanlegern weiter begrenzen.

Dann müssen wir eben miteinander sprechen. Ich bin jemand, der offen sagt, was er denkt.

Fußballfans diskutieren häufig über Moral, über Treue. Wasverbinden Sie damit?

Wie die Fans den Fußball betrachten, respektiere ich natürlich. Was sie aus diesen Schlagworten ableiten, muss man eher diskutieren. Ich würde den Menschen, die den Fußball idealisieren, nur raten, in dieser Branche nicht in die Verantwortung zu gehen. Das würden manche nicht überstehen. Als Verantwortlicher muss ich mich dem Wettbewerb stellen.

Ihr Klub polarisiert derzeit wie kein Zweiter in der Bundesliga.

Zunächst mal ist es ja so, dass wir 17 Jahre lang Ruhe hatten. Eine Zeit, in der wir zielgerichtet sinnvolle Aufbauarbeit geleistet haben. Die Fakten sehen so aus, dass Hannover 96 1997 Dritte Liga spielte und vor der Insolvenz stand. Seither ist die Entwicklung positiv: 14 Jahre in Folge Bundesliga, der sofortige Wiederaufstieg nach dem Abstieg 2016, zwei Europacup-Teilnahmen, der Bau der HDI-Arena, Bau des Nachwuchsleistungszentrums.

Nach Ihrem angestrebten Modell verliert der Stammverein, der e.V., die Kontrolle über die ausgegliederte Profiabteilung. Ist das nicht eine Verschlechterung für den e. V.?

Nein, eine Verbesserung. Der e.V. hat mit den Risiken der Profifußball-KGaA nichts mehr zu tun. Die Trennung zwischen Breitensport und Spitzensport ist konsequent. Aber, und das ist das Hannover-Modell: Wir haben einen Grundlagenvertrag, in dem die Zusammenarbeit zwischen dem e.V. und dem Wirtschaftsunternehmen geregelt ist. Nach außen gibt es nur einen Auftritt. Die Hannoveraner sehen Hannover 96 als eine Gesamtmarke.

Sie sind e.V.-Vorstandsvorsitzender und Hauptinvestor der Profifußball-KGaA. Ergeben sich da nicht automatisch Interessenskonflikte?

Nein. Wieso?

Wer investiert, will eine Rendite sehen – während ein e. V. dem Zweck dient. So jedenfalls soll es sein.

Es ist schön, Rendite zu erwirtschaften. Das Bundesligageschäft ist eine schwierige Herausforderung. Wir achten aber darauf, dass das Geld der Gesellschafter nicht vernichtet wird. Das Hannover-Modell bedeutet: Es gibt keine Investoren, sondern Gesellschafter, die sichmit Hannover und 96 identifizieren. Das Modell ist vielleichtvergleichbar mit Hoffenheim, wo es eben dann eine Person ist…

…aber das Ergebnis ist doch letztlich dasselbe…

…nun ja, Hopp hat bisher keine Renditen erwirtschaftet, soweit ich weiß. Wenn er welche hat, freue ich mich für ihn.

Im Grundsatz ist es aber doch egal, ob sich der Investor mit einem Klub identifiziert oder nicht. Handlungsleitend ist sein Eigeninteresse.

Noch einmal: Den Begriff Investor lehne ich ab, wir sindGesellschafter. Wir sind 96 gegenüber verantwortlich. Ein Investor hat eine ganz andere Philosophie. Und zum e.V.: Der hat sich sehr erfolgreich entwickelt und investiert jetzt 10 Millionen Euro in ein Zentrum für den Breitensport. Wir haben mehr als 20.000 Mitglieder, Amateursport wird bei uns in 15 Abteilungen angeboten. Das ist eine erfreuliche Entwicklung.

Wann haben Sie erkannt, wie lukrativ das Bundesliga-Geschäft sein kann?

Das ist jetzt Ihre Interpretation.

Liege ich falsch?

Ich kenne den Markt gut, natürlich. Aber ich habe mich vor allem mit Hannover 96 zu beschäftigen. Meine Überzeugung ist: Die Wettbewerbsfähigkeit von 96 in der derzeitigen Entwicklung des Fußballs zu erhalten, wird noch eine Riesenherausforderung. Gerade in den nächsten Jahren. Die Wirtschaftskraft in der Region Hannover ist nicht vergleichbar mit der Wirtschaftskraft eines Standorts wie Hamburg, Stuttgart oder München.

Waren deshalb kürzlich 96-Mitarbeiter in China unterwegs?

Nein! Ein grimmsches Märchen. Shenzen ist die Partnerstadt Hannovers, dort soll eine Fußballschule entstehen. Was Gesellschafter betrifft, gilt das Hannover-Modell! Es gibt bei uns nur Gesellschafter aus dem Raum Hannover!

Trotz schwacher Wirtschaftsregion?

Es ist sicher schwierig, hannoversche Bürger oder Unternehmen zu überzeugen, sich bei Hannover 96 zu engagieren. Viele kennen die Schwankungen dieses Markts. Wir können uns gut vorstellen, dass Unternehmen wie VW Nutzfahrzeuge, HDI oder Continental als Gesellschafter einsteigen.

Der „große“ HSV, am heutigen Freitag der nächste Gegner, hat in den letzten Jahren auch eher bescheidene Erfolge einfahren können.

Wegen der 50+1-Regel! Deshalb ist Herr Kühne der Einzige, der dort umfassend investiert. Es ist scheinbar schwierig, weitere Aktionäre zu gewinnen. Und dies in einer reichen und großen Stadt und mit dem Traditionsverein Hamburger SV.

In Mainz bewegt ein e.V. 109,5 Millionen Euro. Ohne Investor geht es also auch.

In Mainz haben Sie wahrscheinlich erfolgreich gearbeitet. Hannover 96 hat in 100 Jahren keine wirtschaftliche erfolgreiche Entwicklung genommen. Und 1997 stand 96 vor dem Konkurs.

Ein anderes Beispiel: Der FC Bayern bekommt es hin, trotz 50+1-Regel Investoren in den Klub zu holen. Warum klappt das in München, in Hamburg aber nicht?

Der FC Bayern ist für mich der Vorzeigeverein in Deutschland, deshalb. Er hat sich mit drei Partnern und Aktionären – Adidas, Audi, Allianz – strategisch klug aufgestellt. Es wäre natürlich auch für uns toll, wenn wir mehr als 300 Millionen Euro für 24,9 Prozent unserer Anteile bekommen würden – aber Fußball ist kein Wunschkonzert.

Interessant ist, dass in Hannover der e.V. 51 Prozent der stimmberechtigten Anteile für nur 12.750 Euro an Sie verkauft hat? Warum so günstig?

Sie sprechen jetzt von der Management GmbH. Es handelt sich um eine vermögenslose und ertragslose GmbH. Darüber hinaus wurde vereinbart, dass eine Weiterveräußerung dieser Gesellschaften nur mit Zustimmung von Hannover 96 möglich ist.

Bisher gehörten 100 Prozent der Management GmbH dem e. V., künftig gehören 51 Prozent Ihnen. Letztlich ist das der Schlüssel, um die 50+1-Regel zu Ihren Gunsten auszuhebeln…

Der Preis ist angemessen und begründet. Noch ein Hinweis: Diese Anteile kann nur jemand kaufen, der wiederum selbst 20 Jahre lang nachweisbar sich umfassend bei Hannover 96 engagiert hat.

Warum sollte der e. V. so billig seine Kontrollfunktion verscherbeln?

Weil wir dieses Konzept vor einem Jahrzehnt so entschieden haben. Deshalb macht es Sinn. Es ist eine saubere und zukunftsorientierte Lösung, ohne Risiken von Zufallsentscheidungen. Bei Vereinen gibt es auch immer Zufallsentscheidungen.

Wenn 50+1 aufgelöst wird zur kommenden Saison, wird dann richtig investiert?

Der Abstieg in die Zweite Liga hat zu einem Verlust von 10 Millionen Euro geführt. Die Mannschaft wird erneut mit einem Verlust von 8 bis 10 Millionen Euro abschließen. Darüber hinaus haben wir über 20 Millionen für Transfers ausgegeben. Die geschäftlichen Auswirkungen können Sie sich bestimmt vorstellen.

Wie wollen Sie neue Investoren künftig nach Hannover locken?

Mit der Stadt Hannover und mit 96. Mein Engagement gilt der Stadt, dann 96. Deshalb finde ich es sympathisch, wenn Unternehmer aus der Region sich für die Stadt und den Verein engagieren. Sie werden immer im Sinne von Hannover und 96 entscheiden.

Käme Ihre Firma auch als 96-Investor infrage?

Nein! Das kommt überhaupt nicht infrage. Das wird immer getrennt bleiben. Es handelt sich bei dem Unternehmen um ein Unternehmen der Realwirtschaft. Bundesligafußball ist das Showgeschäft Leistungssport.

15 Sep 2017

AUTOREN

David Joram

TAGS

Lesestück Interview
Fußball
Hannover 96
Ultras
Fußball
Hannover 96
FC St. Pauli
50+1-Regel
Nordkorea
Dänemark
Deutscher Fußballbund (DFB)
Ultras

ARTIKEL ZUM THEMA

Streit bei Hannover 96: Wenn Fußball-Fans schweigen

Die Fronten zwischen den Ultras und dem Präsidium von Hannover 96 sind verhärteter denn je. Trotz des sportlichen Erfolgs versagen die Fans den Spielern die Unterstützung.

Anwalt Hüttl über Fußball und Fans: „Das ist mein Verein“

Rechtsanwalt Andreas Hüttl vertritt Ultras vor Gericht und ist Mitglied bei Hannover 96. Gegen die Übernahme durch Investoren schließt er auch eine Klage nicht aus.

Investoren im deutschen Fußball: Zwischen Totenkopf und Silberstern

Der deutsche Fußball könnte künftig verstärkt auf Investoren setzen. St.Pauli-Geschäftsführer Rettig warnt vor einer Entdemokratisierung.

Investorenfußball in Hannover: Erhebliche Zweifel an Kind

Der Klubboss von Hannover 96 will das alleinige Sagen haben. Stimmt der Ligaverband dem zu, verstößt er gegen die eigenen Kriterien.

Kolumne Über Ball und die Welt: Kim lässt nicht kicken

Bei der Universiade macht Nordkorea beim Männerfußball nicht mit. Warum? Als Zeichen des Boykotts? Oder ist Kim Jong Un beleidigt?

Nationalelf der Frauen in Dänemark: Kein Spiel gegen Oranje

Dänemarks Verband kann sich mit seiner Frauenelf nicht über Prämien einigen. Die EM-Revanche gegen die Niederlande wird abgesagt.

Kolumne Pressschlag: Friedensstiftender Konflikt

Trotz all des lauten Kriegsgeschreis: In den deutschen Fußballstadien findet derzeit ein erstaunlicher Zivilisierungsprozess statt.

Vereinschef über Bundesliga und Ultras: „Wir wollen ein echter Verein sein“

Der Vorsitzende des FSV Mainz, Johannes Kaluza, warnt vor Raubtierkapitalismus und gilt als Ultras-Versteher. Zurzeit lehnt er Pyrotechnik ab.