taz.de -- Kolumne G-kacken: Wer ein Auto hat, flieht ins Exil
Die bumsenden Berliner Polizisten sind in Hamburg auf Verständnis gestoßen. Man hat hier eine lockere Haltung zum Austausch von Körperflüssigkeiten.
Nein, nicht nur die Polizei macht sich für den Gipfel klar und steht mit Wasserwerfern bereits an den Ecken rum, auch das horizontale Gewerbe bringt sich in Position. Für alle, die mehr springen lassen können als die armen Berliner Polizisten, die sich ihr Containerdorf in Bad Segeberg schöntrinken mussten, um dann ungezügelt zwischen den Blechwänden rumzuvögeln, schmücken Anzeigen von Bordellen die Werbeflächen des Viertels.
Ja, das mit den bumsenden Berlinern ist hier auf viel Verständnis gestoßen. Erstens war die lockere Haltung in Sachen Austausch von Körperflüssigkeiten lange Zeit das Aushängeschild dieser Stadt. Zweitens, wer Bad Segeberg kennt, das auf jeden Fall zu Schleswig-Holstein gehört, wundert sich nicht über ein Bedürfnis nach Alkohol und kollektivem „Hose runter“.
Den Polizisten, die die G-20-Messehallen bewachen müssen, was ähnlich aufregend sein dürfte, wie durch Bad Segeberg zu bummeln, wird das Ereignis als Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit Kollegen anderer Bundesländer gerade recht kommen. Entsprechend lassen sich im Vorbeigehen süße Dialoge einfangen: „Seid Ihr anstelle der Berliner Kollegen gekommen?“ „Nein, wir sind regulär hier.“ Leider konnte ich nicht hören, wie es weiterging, freue mich aber, wenn das „Festival der Demokratie“, wie der Innensenator den Gipfel nennt, nicht nur unter Demonstranten zu neuen Kontakten führt.
Apropos Austausch: Auch wir Anwohner organisieren uns. Wer hier lebt und ein Auto hat, fragt sich, welcher Stadtteil geeignet ist, es abzustellen. Wer Kinder hat, sieht zu, dass er wegkommt. Ergo nehmen Leute mit Kindern das Auto, um ins Exil zu fahren. Ihre leeren Wohnungen werden genutzt, um Angereiste unterzubringen samt Fahrrädern, damit die Gäste an der Fahrraddemo nächsten Freitag teilnehmen können. Läuft alles super hier im Viertel, kann man nicht anders sagen.
Was nicht so doll läuft, ist das Internet. Seit Wochen schon ist es lahm und wird immer lahmer; fährt man mit dem Auto, krisselt das Autoradio rund um die Messehallen. Einzig die Hubschrauber knattern im Ganztagesrhythmus und vermitteln ein Gefühl, wie es sein könnte, in einem Kriegsgebiet zu leben. „No G20“ haben Aktivisten riesengroß auf ein Häuserdach geschrieben. Das scheint mir gut im Kern, aber etwas dumm von der Idee her, schließlich liest das jeder, der darüber fliegt, eben weil der G 20 stattfindet. Der alte Kinderspruch „Wer das liest, ist doof“ wäre passender gewesen und hätte ausnahmslos mal die Richtigen getroffen.
Ansonsten verteilt die Polizei Visitenkarten mit der Nummer des „Bürgertelefons der Polizei“. Auf der Rückseite ein Kalender, Juli–Dezember 2017. Das verstehe ich nicht. Ich frage mich, ob das ihre Art ist, zu sagen: „Es gibt ein Leben nach dem Gipfel.“
5 Jul 2017
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die Sicherheit an den Messehallen ist genau so hoch, dass man Trump das Toupet vom Kopf ziehen könnte. Doch ein Problem? Gibt es hier nicht!
Der G20-Freitag war von Gewalt geprägt. Tagsüber gab es friedliche Proteste, abends randalierten Autonome. Bis zur Räumung von Spezialeinheiten der Polizei.
Hoffentlich verirrt sich der US-amerikanische Präsident nicht ins Karoviertel. Da ist es für ihn im Moment nämlich eher nicht so great.
Für die deutsche Linke ist die Welt durch Trump wieder einfacher geworden. Dass man dabei andere vernachlässigt, ist eine intellektuelle Bankrotterklärung.
Ein Selfie als Statement zum G20? Global Citizen und die Drogeriekette Budnikowsky machen es möglich. Was für ein Festival der Demokratie.
Gestern stand „Cornern“ auf dem Aktionsplan des zivilen Protests. Es ging darum, auf Straßen und Plätzen herumzusitzen, zu essen, zu plaudern.
Linke Jugendliche tragen schwarze Kleidung und versuchen, alles richtig zu machen. Aber warum sollten sie mehr auf die Reihe kriegen als alle anderen?
Eine ganze Reihe bekannter „israelkritischer“ Gruppen steht hinter dem Internationalistischen Block. Sie werden ihren Teil zur Mobilisierung beitragen.
Das heizt die Stimmung nochmal an: Vor dem G20-Gipfel ruft das Zentrum für Politische Schönheit indirekt zum Mord an Diktatoren auf.
Vielleicht werden nach dem G20-Gipfel in der Roten Flora die Sektkorken knallen. Aber erfolgreich werden Linke nicht sein.
Polizeiführer Hartmut Dudde prägte mit seiner Einsatz-Philosophie bundesweit den Begriff der „Hamburger Linie“. Jetzt leitet er den Gipfeleinsatz.
Der Verfassungsschutz präsentiert seinen neuen Jahresbericht. Sorgen bereiten dem Amt der islamistische Terror, Reichsbürger und G20.