taz.de -- Kolumne Nach Geburt: Ruhe im Ruhebereich!

Kinder sollen in der Öffentlichkeit bitte funktionieren wie Erwachsene. Wann wurde uns dieser Scheiß denn bitte eingeredet?
Bild: Kinder sind okay. Aber sie sollen schön leise sein

Als ich letztens einen Zug buchen wollte – für zwei Erwachsene und zwei Kinder 0–5 J. –, war mein Reservierungswunsch im Familienbereich nicht erfüllbar.

Schlimm, die Bahn wieder, *kopfschüttel*, wenn jetzt auch noch die Wagenreihung geändert wird, dann raste ich aus.

Das dachte ich alles nicht.

Es war mir eigentlich egal, ob wir nun im Familienbereich sitzen oder nicht. Doch dann klopfte in meinem Kopf ein Tweet an, der kurz zuvor in meiner Timeline aufgetaucht war. Da hatte sich ein Kollege über Kinder im Ruhebereich des ICE beschwert. Die sollen da gar reservierte Plätze gehabt haben!

Also schaute ich mal nach, wo der Bahn-Buchungsalgorithmus mich, meine Freundin und unsere Kinder denn nun platziert hatte, wenn schon der Wunsch nach Plätzen im ICE-Familienabteil nicht erfüllbar war. Und siehe da: Wir wurden in den Ruhebereich verfrachtet. Ganz ohne unser Zutun – und gegen unseren Wunsch.

Das Bahn-Social-Media-Team antwortete übrigens auch auf den Tweet des Kollegen: „Es werden keine Personengruppen ausgeschlossen. Ärgerlich aber, wenn sie nicht ruhig sind.“

Das denkt man wohl bei der Bahn.

Aber, liebe Bahn, wenn dein Buchungsportal solch simple Operationen wie „Familien, die keinen Platz im Familienabteil bekommen, nicht sofort ins Ruheabteil setzen, sondern erst woanders nach freien Plätzen suchen“, nicht auf die Kette kriegt, dann solltest du vielleicht nicht mit dem Finger auf die Eltern und deren Kinder zeigen, sondern dein bescheuertes System der Platzvergabe ändern. Es gab nämlich noch genügend freie Plätze in neutralen Bereichen des Zugs.

Kinder als Störfaktoren

Doch eigentlich ist das nicht wichtig, denn hinter der Forderung, Kinder sollten im Ruhebereich nicht stören, und der zustimmenden Antwort der Bahn steckt ein viel tiefer gehendes Problem: die weit verbreitete Überzeugung, dass es ein Recht auf Ruhe vor Kindern gebe.

Woher die kommt, ist mir ein Rätsel. Gerichte urteilen bei derlei Fragen – zumeist sind es Mietstreitigkeiten – immer wieder, dass es ein solches Recht nicht gebe. Im Gegenteil. Andere Mieter müssten sich nach den Bedürfnissen der Kinder richten – und nicht andersherum, entschied einst der Bundesgerichtshof.

Doch für viele sind Kinder nur Störfaktoren, die gerne in ihren Zimmern spielen dürfen (allerdings nur wenn die Wohnung im Erdgeschoss liegt und im Keller niemand wohnt), aber ansonsten in der Öffentlichkeit nach den Regeln der Erwachsenen zu funktionieren haben: Ruhe im Ruhebereich!

Und du, liebe Bahn, bist der beste Beweis dafür, wenn dir auf eine Beschwerde über Kinderlärm nichts anderes einfällt als: „Ärgerlich aber, wenn sie nicht ruhig sind.“

Dabei ist das einzig Ärgerliche, dass du nicht ruhig bist, sondern dazu beiträgst, dass Eltern in so vielen Bereichen immer noch Bittsteller sind, denen eingeredet wird, dass es ein Akt der Güte sei, wenn man ihnen wohlwollend und ihren Kindern tolerant gegenübertritt.

18 May 2017

AUTOREN

Jürn Kruse

TAGS

Kinder
Verkehr
Nach Geburt
Eltern
Nach Geburt
Nach Geburt
Nach Geburt
Nach Geburt
Nach Geburt
Rheinland-Pfalz
Schwerpunkt Überwachung
Nach Geburt
Kinder

ARTIKEL ZUM THEMA

Kolumne Heult doch!: Zum Glück sind wir alle gut erzogen

Mit Kindern im Ruhebereich des ICE: Das Unverständnis zwischen Eltern und Nicht-Eltern entlädt sich mitunter in erstaunlichen Rücksichtslosigkeiten.

Kolumne „Nach Geburt“: Wir teilen unsere Mittelmäßigkeit!

Druck durch „Attachment Parenting“-Ratgeber und -Blogs? Muss nicht sein. Sich die eigene Durchschnittlichkeit einzugestehen, hilft.

Kolumne Nach Geburt: Loga wohnt jetzt bei uns

Meine dreijährige Tochter hat bei uns zu Hause eine WG gegründet: Fünf imaginäre Freunde sind schon eingezogen.

Kolumne Nach Geburt: Also ein Tag war ganz okay

Vier Monate lang haben meine Freundin und ich uns die Arbeit und die Kinder geteilt – 50:50. Hier das Fazit der Partnerschafts-Bonus-Experience.

Kolumne Nach Geburt: Wenn Mann zuviel verdient

Nun ist eine noch bessere Erklärung dafür aufgetaucht, warum Väter seltener Elterngeld und Elternzeit in Anspruch nehmen.

Kolumne Nach Geburt: Wir Väter würden ja gern, aber …

Ein paar mehr Männer nehmen Elterngeld in Anspruch – und viele jubeln. Dabei sind die Zahlen zum Schämen. Kinderbetreuung bleibt Frauensache.

Kolumne Geht's noch?: Aufwachen, Rheinland-Pfalz!

In Koblenz wollte sich ein Mann in „James Bond“ umbenennen. Das Verwaltungsgericht hat’s verboten. Ein großer Fehler.

Kolumne Nach Geburt: Big parent is watching you

Kameras an der Wand, Sensoren im Babybett – wollen wir wirklich, dass Kinderzimmer zu Hochsicherheitstrakten werden?

Kolumne Nach Geburt: Wir können auch anders!

Wenn Erdoğan, Trump und Co. uns verarschen wollen, sollten wir die Meister der Verwirrung vorschicken: Zwei- und Dreijährige an die Macht!

Kolumne Nach Geburt: Oohoooh! Motorbiene!

Smartphone sei Dank war die Elternzeit weder unterfordernd noch langweilig. Man sollte das Ding also auch mal loben.