taz.de -- Die Wahrheit: Ein Ei von Herzen
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit. Heute darf sich die Leserschaft an einem Poem über ein verlorenes Fruchtbarkeitssymbol erfreuen.
Eines Sonntags im August
wandelte ich unbewusst,
lyrisch sinnend durch den Garten.
„Meine Füße lang nicht traten
diese grasbewachs’nen Wege!
Mir will scheinen, etwas Pflege
brächte dieser Wildnis Nutzen!
Nun wohlan, ich werd’ sie putzen!“
Also sprach ich, kniete nieder,
wo ich grad noch stand: beim Flieder.
Und begann sofort zu rupfen
und zu reißen und zu zupfen,
was das Zeug hielt. Und schon balde
prangte eine prächt’ge Halde
ausgerissener Pflanzen kühn
in dem, was noch eben grün.
Meine Augen blickten kahle
Erd’ nun an. Mit einem Male
mischte sich da etwas weiß
und in Forme eines Eis
in das, was ansonsten braun.
Klatsch! Vor meine Stirne haun –
und zwar kräftig! – folgte itzo,
dazu rief ich aus: „Schon schizo-
phren zu sein und ohn’ Verstand,
als ich jenes Ei nicht fand,
welches ich zu Ostern legte
hier ins Gärtchen, Brauchtum pflegte,
dachte ich. Doch nun ist klar,
dass nicht doof ich bin, noch war!“
Ach, mir fiel vom Herz’ ein Stein.
Ich pellte ’s Ei und biss hinein.
13 Apr 2017
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