taz.de -- Die Wahrheit: Verschluckbare Kleinteile
Hätte man einen Glauben, müsste man wegen der Luther-Devotionalien zum Reformationsjubiläum sofort von ihm abfallen.
Die katholische Kirche könnte ganze Armeen von Heiligen aufbieten. Dagegen kann die extremistische Splittergruppe der Protestanten nur komische Heilige wie Margot Käßmann und Joachim Gauck ins Feld führen. Oder eben Martin Luther höchstselbst, der vor genau 500 Jahren in Wittenberg die 95 ersten Tweets der Weltgeschichte absetzte und damit das Abendland ins Wanken brachte.
Aus Gründen, für deren tieferes Verständnis man vermutlich mehrere Semester angewandtes Beten studiert haben oder in einem entsprechenden Haushalt aufgewachsen sein muss, feiert die evangelische Kirche dieses Ereignis, wie nur Gläubische feiern können: derbe, hart und kompromisslos. Man muss nicht einmal in die Kirche gehen. Die Kirche kommt zu den Menschen, ergreift sie mit ihren theologischen Tentakeln und wäscht ihnen die Gehirne.
In der Frankfurter Bahnhofsbuchhandlung beispielsweise ächzt ein eigener Tisch unter Devotionalien, die alleine Luther gewidmet sind. Ganz oben thront „Luther“ als voluminöses Brettspiel für 29,99 Euro. Dafür gibt’s Proviantkarten (Käse, Brot, Bier), Erfahrungssteine und ein Spielfeld, auf dem man als „Zeitgenosse“ in Eisenach, Erfurt oder Magdeburg „Erfahrungspunkte“ sammeln kann. Im Kleingedruckten wird vor „verschluckbaren Kleinteilen“ gewarnt, das muss der Antisemitismus sein. Leider fehlt der Playstation-Egoshooter „Battlefield: Bauernkrieg“, bei dem sich Luther den Weg von Worms nach Rom frei ballert, wo im Vatikan der Endgegner wartet. Immerhin gibt’s von Playmobil einen Luther für die Allerkleinsten, hier sind die verschluckbaren Kleinteile die Schreibfeder und eine Bibel, die dem Figürchen ständig aus der Hand fällt.
Wem derlei Konsumkitsch noch zu calvinistisch ist, der kann auf das Daumenkino „Luther haut rein“ zurückgreifen. Inhalt: Ein schelmischer Luther nagelt Thesen an eine Kirchentür, worauf ein Pfaffe herausschaut und sich ein Fragezeichen über seinem Kopf formt. Verständlicher lässt sich die Reformation kaum auf den Punkt bringen. Vergleichsweise unterkomplex hingegen ist das als Luther herausgeputzte Entchen für die Badewanne. Es gibt Lutherlutscher und Luthersocken („Hier stehe ich, ich kann nicht anders“), vielleicht sogar Lutherpenisringe („Gott helfe mir, Amen“) und Lutherkondome mit Tintengeschmack zur gottgefälligen Familienplanung.
Regelrecht lutherlocker gibt sich Leipzig, das für Veranstaltungen mit der These wirbt: „Johann Sebastian Bach und Martin Luther wären vermutlich beste Freunde gewesen, wenn sie nicht 200 Jahre voneinander getrennt gelebt hätten.“ Das Plakat dazu zeigt den Komponisten mit Ray-Ban-Sonnenbrille und „Luther Rules“-T-Shirt, was die These hinreichend belegt. Wer weiß, mit wem Luther sich noch alles hätte anfreunden können – hätte er in irgendeiner anderen Zeit gelebt? Mit Pontius Pilatus vielleicht, mit Martin Luther King? Vielleicht sogar … mit mir?
Gott allein wird wissen, warum einer so würdevollen Glaubensgemeinschaft seit Jahren die Schäfchen weglaufen.
31 Mar 2017
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