taz.de -- Kolumne Nach Geburt: Stift falsch, Papier falsch, alles falsch
Wenn sich Zweijährige plötzlich in Diven mit seltsamen Spleens verwandeln, dann – ja dann: sollte sich niemand zusammenreißen müssen.
Wir haben mit unseren Töchtern großes Glück gehabt. Sie waren zufriedene Säuglinge, haben selten geschrien und gut geschlafen.
Bei Müttertreffen saß ich entspannt mit einem Stück Kuchen auf dem Sofa und konnte mich unterhalten, während die meisten anderen Mütter mit übertrieben großen Wiegeschritten durchs Zimmer stapften und beruhigend auf die zeternden, aufgebrachten kleinen Wesen einredeten. Meine Töchter lagen zufrieden auf dem Boden und spielten mit einem Fussel oder machten Spuckeblasen.
Alle haben mich beneidet. Und irgendwann kam die Rache.
Über Nacht verwandelten sich alle Zweijährigen in meinem Umfeld in kleine Diven mit merkwürdigen Spleens. Der eine mag keine Knöpfe, die andere rastet aus, wenn man ihr die Schuhe in vermeintlich falscher Reihenfolge anzieht. Und diesmal gehört meine Tochter auch zu den Wutbürgern.
Ich würde sagen, sie gehört zu den Anführern. Sie leidet mit großer Geste an fürchterlichem Weltschmerz, wenn irgendwas nicht so läuft, wie sie will. Griechisches Klageweib nennt meine Mutter sie gern.
Wenn zum Beispiel der Cheddar alle ist, dann weint sie dicke Krokodilstränen der Verzweiflung. Aber am schlimmsten ist es, wenn der Regenschutz an ihrem Fahrradsitz nicht ihren hohen Ansprüchen genügend verstaut ist und sie ihn mit ihrer Fußspitze noch leicht berührt. Sobald sie das bemerkt, verfällt sie in derartiges Wehgeschrei, dass ich jedes Mal vor Schreck fast in den Graben fahre, weil ich denke, es sei etwas wirklich Schlimmes passiert. „Mach das da weg!“
Lose-lose-Situation
Zu Hause angekommen, wollen wir etwas basteln, aber nach fünf Minuten rastet sie komplett aus, weil das Papier aus irgendeinem mir unerklärlichen Grund „falsch“ ist, und sowieso sind alle Stifte falsch, die Schere ist falsch. Alles falsch.
Den Kopf rot vor Wut, schmeißt sie alles beiseite. „Willst du ein Stück Banane?“, frage ich. Das hilft eigentlich immer. Sie nickt stumm und ich breche ihr ein Stück ab. Doch das Wutgeheul steigert sich urplötzlich wieder in ungeahnte Höhen. „Ich will die ganze Banane. Mach das wieder dran!“ Dann will sie puzzeln. Ich soll unbedingt mitmachen.
Doch sobald ich ein Puzzleteil in die Hand nehme, keift sie: „Nein! Das kannst du noch nicht. ICH mache das.“ Gut, denke ich und lege das Teil resigniert wieder hin und schiele auf das neue Zeit Magazin. Aber kaum, dass ich die erste Seite aufschlage, werde ich scharf von der Seite angefahren: „Du darfst nicht lesen, du sollst puzzeln!“ Klassische Lose-lose-Situation.
„Ich bin einfach nicht so drauf“, seufzt sie irgendwann erschöpft, und ich frage, was denn eigentlich los sei. „Ich weiß das nicht“, schluchzt sie und klettert auf meinen Schoß: „Ich will nur in Ruhe ein bisschen jaulen.“
Und plötzlich finde ich ihr Verhalten total verständlich, weil es mir doch oft genauso geht, ich habe nur verlernt, das so rauszulassen. „Das ist okay“, sage ich und drücke sie an mich und nehme mir ganz fest vor, in solchen Situationen nie „Jetzt reiß dich mal zusammen!“ zu sagen.
Rollentausch: Normalerweise schreibt an dieser Stelle Jürn Kruse. Der ist aber gerade in Elternzeit, also muss seine Freundin ran.
23 Feb 2017
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