taz.de -- Proteste in Äthiopien: Abwarten, bis es wieder losgeht

Die Massendemonstrationen in Äthiopien sind vorerst abgeflaut. Aber im Amhara-Kernland rüsten beide Seiten für die nächste Runde.
Bild: Bishoftu, 2. Oktober: Dort starben Dutzende Menschen

Gondar taz | Die Bewaffneten sieht man nie sofort; meist sitzen sie zu viert in Seitenstraßen und im Halbdunkel von Hauseingängen. Ganz Gondar, ein Epizentrum der Unruhen in Äthiopien, ist mit einem feinmaschigen Netz der Sicherheitskräfte überzogen.

Die Botschaft der Regierung an die Bevölkerung: Jedes Aufbegehren wird im Keim erstickt. Bis jetzt ist Polizei und Militär gelungen, allerdings ohne die Unruheserie unterbrechen zu können, die seit einem Jahr über Gondar und das Umland rollt. Die Wut der dortigen Volksgruppe der Amhara richtet sich gegen die Regierungspartei.

Die Amhara, die historisch herrschende Volksgruppe Äthiopiens, sehen sich von den Machtstrukturen der herrschenden Parteienkoalition ausgegrenzt. Diese „Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker“ (EPRDF) wird von der Volksgruppe der Tigray dominiert, die nur 6 Prozent der Bevölkerung stellt.

Hinzu kommt Hass auf das „chinesische Entwicklungsmodell“, das die seit seit 1991 herrschende Regierungspartei rigoros verfolgt. Hierbei steht der wirtschaftliche Aufstieg des Staates im Vordergrund, nicht Wohlstand für die knapp 100 Millionen Äthiopier.

Der soll in einer unbestimmten Zukunft kommen, wenn sich der Bau von Staudämmen und Bahntrassen auszahlt. Daran glauben die Äthiopier kaum noch, von denen die meisten nach wie vor in bitterer Armut leben. Im boomenden Bausektor verdient ein Arbeiter höchstens 60 Birr (2,40 Euro) am Tag. Das reicht für das tägliche Essen einer Kleinfamilie, mehr nicht.

Härte der Regimepolitik

Besonderer Konfliktreiber in der ländlichen Region um Gondar: Die Regierung vergibt riesige Ackerflächen an ausländische Agrarunternehmen zur Devisenbeschaffung durch Agrarexporte. Landbesitzer ist in Äthiopien der Staat. Das macht die Enteignung der Amhara-Kleinbauern einfach und treibt sie auf die Barrikaden.

Dass die Unruhen im Sande verlaufen, glaubt in Gondar niemand. Im Café beugt sich ein junger Mann über den Tisch und flüstert: „Nur noch ein genialer Politikverkäufer wie Zenawi könnte diese Krise für die Regierung eindämmen. Den hat sie aber nicht.“

In Gondar hört man oft, dass die Machtmaschine des Expremiers Meles Zenawi fehlt. Meles, der als Tigray-Guerillaführer 1991 die Macht ergriff und die EPRDF gründete, schaffte es immer wieder, wenn es kriselte, beruhigend einzuwirken. Doch er starb 2012.

Seinem Nachfolger, Desalegn Hailemariam, einem aalglatten EPRDF-Apparatschik, gelingt es nicht, die Härte der Regimepolitik zu kaschieren. Die Menschen, ob in der Amhara-Region oder den Bundesstaaten anderer Volksgruppen, haben nichts übrig für die regionalen Schwesterpartei der EPRDF. Ihre Eliten gelten als korrupt und unfähig, die Interessen der Bevölkerung zu vertreten.

Obwohl die Staatspartei seit einigen Jahren die Strategie fährt, zur Massenpartei zu werden, ist in Gondar augenfällig, dass sie keine Loyalisten auf die Straße bringt.

Sicherheitskräfte sind stets präsent

Seit Anfang Oktober sind die Unruhen abgeflaut. Aber an der Piazza von Gondar, einem Hauptschauplatz der Straßenkämpfe, scheinen die Geschäftsleute nur auf die nächste Runde zu warten. Zerstörte Fensterscheiben werden mit Stoffbahnen verdeckt, nicht ausgetauscht. Staatsmacht wie Opposition sammeln ihre Kräfte.

Wie in der Wirtschaft kupfert das Regime auch in der Politik chinesische Strategien ab. Statt einem echten politischen Dialog mit der Opposition wurde angekündigt, den regionalen EPRDF-Koalitionär „National-Demokratische Bewegung der Amhara“ zu evaluieren und seine Führungskader auszutauschen.

Daneben gibt es eine Internetsperre und die Sicherheitskräfte sind in der Öffentlichkeit stets präsent, allerdings ohne schweres Gerät. Offensichtlich soll die Bevölkerung entmutigt, aber nicht weiter provoziert werden.

Die Opposition versucht, ihrem Widerstand eine dauerhafte Struktur zu geben. Mit einem Generalstreik wollte sie das Wirtschaftsleben lahmlegen. Geschäfte und Cafés sollten für einen Tag geschlossen bleiben. Doch nur wenige machten mit.

Viele sehen die jetzige Lage als Ruhe vor dem Sturm. Vom Taxifahrer bis zum Staatsanwalt sind alle überzeugt: In zwei Monaten wird die Krise eskalieren. Dann ist die Erntezeit vorbei.

3 Nov 2016

AUTOREN

Björn Müller

TAGS

Äthiopien
Schwerpunkt Angela Merkel
Äthiopien
Äthiopien
Äthiopien
Äthiopien
Äthiopien

ARTIKEL ZUM THEMA

Merkels Afrikareise: Abschluss in Äthiopien

In Addis Abeba lobt Angela Merkel die afrikanischen Aufnahmeländer für Flüchtlinge. Zugleich sagt sie Unterstützung vor Ort zu.

Kommentar Ausnahmezustand Äthiopien: Keine Hoffnung auf Entspannung

In Äthiopien wurde der Ausnahmezustand verhängt. Merkel kann bei ihrem Besuch also nicht wie eigentlich geplant einfach den Fortschritt loben.

Merkels Reise nach Äthiopien: Ein Land im Ausnahmezustand

Die Regierung hat nach tagelangen schweren Unruhen für sechs Monate den Notstand ausgrufen. Merkel will sich mit Oppositionellen treffen.

Vor Merkels Afrikareise: Protest und Unruhe in Äthiopien

Äthiopien ist ein Partner Europas bei der Abwehr von Flüchtlingen. Der Protest im Land weitet sich derweil aus. Eine US-Amerikanerin wird getötet.

Riesen-Staudamm in Äthiopien: Das Wunder vom Blauen Nil

In Äthiopien soll dieses Jahr ein riesiger Staudamm ans Netz gehen. Die Regierung will das Land so zum Entwicklungsmotor Ostafrikas machen.

Kommentar Beziehung zu Äthiopien: Partner mit blutigen Händen

Auf Äthiopien, einen der am besten funktionierenden Staaten Afrikas, kann Europa strategisch setzen. Aber sollte es das auch tun?