taz.de -- Menschenrechtsorganisation in Russland: Memorial als Spitzel diskreditiert

Die Gruppe landete auf der Liste „ausländischer Agenten“. Die Begründung des Justizministeriums: Sie erhalte Geld aus dem Ausland und betätige sich politisch.
Bild: Die Bürgerrechtlerin Ljudmila Alexejewa kritisierte die staatlichen Eingriffe

Moskau dpa | Das russische Justizministerium hat die angesehene Menschenrechtsorganisation Memorial International auf eine umstrittene Liste „ausländischer Agenten“ gesetzt. Eine Kontrolle habe ergeben, dass Memorial Geld aus dem Ausland erhalte und sich politisch betätige, teilte das Ministerium am Dienstag in Moskau mit. Die Organisation kündigte an, den Schritt gerichtlich anzufechten.

Ein international kritisiertes Gesetz verpflichtet seit 2012 Nichtregierungsorganisationen (NGOs), sich als „ausländische Agenten“ zu kennzeichnen, wenn sie Geld aus dem Ausland erhalten. Viele werten dies als Stigma, das ihre Arbeit behindert. Inzwischen stehen mehr als 140 NGOs auf der Liste.

Die Bürgerrechtlerin Ljudmila Alexejewa von der Moskauer Helsinki Gruppe kritisierte, der Schritt zeige die Einstellung der Regierung zur Zivilgesellschaft. Nur mit dem Segen der Behörden gegründete Organisationen müssten sich nicht fürchten, als Agenten gebrandmarkt zu werden, sagte sie der Agentur Interfax zufolge.

Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), sagte, die Einstufung werfe ein „sehr problematisches Schlaglicht“ auf die Möglichkeiten von Organisationen in Russland. Die Grünen-Außenpolitikerin Marieluise Beck rief die russische Justiz auf, die Entscheidung des Justizministeriums zu revidieren.

Unter dem Namen Memorial vereinen sich Dutzende Organisationen, die sich unter anderem für eine Aufarbeitung der Verbrechen unter Sowjet-Diktator Josef Stalin einsetzen. Das Vorgehen des Ministeriums richtet sich gegen den internationalen Verband von Memorial.

5 Oct 2016

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