taz.de -- EMtaz: Island feiert, Österreich am Boden: England-Fans gegen England
Erstes EM-Turnier und gleich im Achtelfinale: Island-Fans sind außer sich. Österreich muss erkennen, dass David Alaba allein nicht reicht.
Paris taz | War das der schwärzeste Tag seiner Karriere? Österreichs Kapitän Christian Fuchs schaute den Interviewer an. Der Schweiß lief ihm in die Augen. Vermutlich sah es deshalb so aus, als würde er gleich losheulen. Oder draufhauen. Jedenfalls wusste er nicht, was er sagen sollte.
Was soll man auch sagen? Österreichs Fußballer sehen nach dem 1:2 gegen Island, einem sieglosen Turnier und dem letzten Gruppenplatz auf den ersten Blick aus, als seien sie die Clubberer der Verbandsteams. Also am Ende immer der Depp.
Während die putzigen Isländer this year’s Superlieblinge sind, mit ihren 330.626 Einwohnern, die alle in Frankreich sind. Außer der kränkelnden Oma Gutidottir, die zu Hause die Vulkane hütet.
Erstes EM-Turnier, erster Sieg, erstes Weiterkommen, das sind die Superlative, die die statistikorientierte Kundschaft in Relation zur Größe der Insel setzt. Ist ja auch beeindruckend, selbst wenn das nicht ganz überraschend kommt, sondern auf einem ordentlich sortierten und außerordentlich spirituellen Teamfußball basiert, der in der Qualifikation für zwei Siege gegen die Niederlande gut war.
Nun spielen die Isländer im Achtelfinale gegen England, das ist doppelt schön für sie. Erstens sind fast alle isländischen Spieler England-Fans. Zweitens ist das, realistisch betrachtet, auch ein schlagbarer Gegner.
Einzige Hoffnung Alaba
Und Österreich? „Gibt es irgendetwas Positives, das Österreich aus dem Turnier mitnehmen kann?“, wurde Trainer Marcel Koller gefragt.
Ja. Gibt es. Sie waren dabei. Das ist nicht zynisch gemeint. Sie hatten im Stade de France von St. Denis großen Anteil an einem richtig geilen Fußballspiel. Nach einer taktischen Umstellung Kollers und nun mit dem Baseler Stoßstürmer Marc Janko schleppten sie den Ball nach vorn. Ein ums andere Mal, unverdrossen, trotz eines verschossenen Foulelfmeters und trotz aller Limitiertheiten.
Sie haben im Grunde nur einen einzigen Weltklassefußballer, der die Räume nicht zuläuft wie Arnautovic, der österreichische Würschtel-Zlatan, sondern mit Direktspiel öffnen kann. Das ist der Bayern-Profi David Alaba, der auch den zwischenzeitlichen Ausgleichstreffer initiierte. Die Isländer haben gar keinen Weltklassespieler. Insofern ist so ein Spiel jenseits mittleren Champions-League-Niveaus. Und doch mehr.
Es war die Hopp-oder-topp-Situation und das Zusammenwirken zwischen allen Beteiligten. Die österreichischen Zuschauer waren überhaupt nicht misanthropisch drauf. Sie wollten Alabas Freistöße ins Tor klopfen, mit unfassbarer Lautstärke, fast schon bedrohlich, lösten die Spannung aber immer wieder spielerisch auf. Kein einziges Mal waren sie mürrisch, obwohl Fuchs’ Flanken leichte Beute der isländischen Innenverteidiger wurde, Arnautovic sich verdribbelte und Alaba den Ball weiterschob, weil nirgends jemand lief.
Die isländischen Zuschauer verteidigten derweil das 1:1. Leiser als die Österreicher, aber entschlossen wie ihr Team. Wenn die Welt Fußballspiele braucht, dann genau solche.
23 Jun 2016
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Im Achtelfinale treffen die Engländer auf ihre Zukunft. Von ihren Gegnern können sie lernen, was es heißt, ein Volk am Rande Europas zu sein.
Island hat einen neuen Präsidenten gewählt: Politik-Neuling Gudni Th. Jóhannesson. Er galt bereits vor der Wahl als klarer Favorit.
Auf der Berliner Fanmeile ist bei dieser EM nichts vom 2006er „Schwarz-Rot-Geil“ übriggeblieben. Das ist gut so. Traurig macht ein Besuch trotzdem.
Hooligans, schlechte Laune und Sicherheitsparanoia bei der EM? Alles unwahr. Fans feiern friedlich sich und andere. Mit Daniel Cohn-Bendit.
Die EM ist wie der ESC ein Event der Proeuropäer. Ein Festival, das die Menschen verbindet. Ein Brexit kann das nicht kaputt machen.
Österreich ist auf der Suche nach sich selbst. Die Isländer spielen dagegen mal wieder saukompakt und stellen in der Nachspielzeit ein verdientes 2:1.