taz.de -- Politiker boykottieren Talkshows: Schweigen ist Schrott
Donald Trump will nicht mit dem TV-Sender Fox News reden. Das ist dumm. Malu Dreyer will nicht mit der AfD reden. Das ist dümmer.
Ist eine Elefantenrunde eigentlich noch eine Elefantenrunde, wenn Roger Lewentz teilnimmt? Lewentz ist Landeschef der SPD in Rheinland-Pfalz, außerdem ist er dort Innenminister. Er muss demnächst ins Fernsehen. Denn seine Chefin, Ministerpräsidentin Malu Dreyer, will nicht.
Am 13. März wird in Rheinland-Pfalz gewählt. Davor will der SWR alle SpitzenkandidatInnen der Parteien, die realistische Chancen haben, in den Landtag einzuziehen, in einer Talkrunde befragen. Oder genauer: Der SWR wollte. Doch Dreyer sagte ab: kein TV-Gipfel mit der rechtspopulistischen bis rechtsextremen AfD. Die Grünen wollten dann erst auch nicht mit der AfD, die CDU-Spitzenfrau Julia Klöckner wollte aber nicht mit Grünen und SPD alleine, dann wollten die Grünen doch wieder mit der AfD, doch SPD-Dreyer blieb hart.
SWR-Chefredakteur Peter Frey schimpfte über „Schönwetterdemokraten“, die sich wegducken würden, statt auf die Bühne zu gehen. Nun also soll Lewentz den Dreyer-Ersatz geben, damit die TV-Runde doch noch stattfinden kann: mit SPD, mit CDU, mit Grünen, mit FDP, mit Linken – und mit AfD.
Tolle Idee. Leider kann sie die Elefantenrunde nicht retten. Jedes Mal, wenn Lewentz Fragen zu seiner Regierungschefin gestellt werden, jedes Mal, wenn er auf sie verweist, wird allen ZuschauerInnen vor Augen geführt werden, welch unwürdiges Geschacher dieser Runde vorausgegangen war.
Mit-denen-rede-ich-nicht-Dreyer
Immerhin hat Mit-denen-rede-ich-nicht-Dreyer seit dieser Woche einen prominenten Nachahmer: Donald Trump. Der US-Präsidentschaftskandidaturbewerber hat die für Donnerstag angesetzte Debatte der Republikaner abgesagt. Sein Grund ist ebenso simpel wie Dreyers: Er hat keinen Bock auf eine Teilnehmerin in der Runde. Allerdings ist es keine Gegenkandidatin, die Trump ablehnt, sondern eine Journalistin: Megyn Kelly, Moderatorin des gastgebenden Senders Fox News.
Der hat Trump einst ziemlich unverblümt gesagt, dass ihre bissigen Fragen wohl daher kämen, dass sie ihre Tage hätte: „Man konnte sehen, dass Blut aus ihren Augen kam. Blut kam aus wo auch immer“, hatte er vor Monaten nach einer ersten Debatte mit Kelly als Fragestellerin gesagt.
Seitdem herrscht zwischen Kelly und Trump eine wenig verhohlene Abneigung.
Aber: Es ist Trumps gutes Recht, mit Journalistinnen und Journalisten, die ihm nicht passen, nicht zu reden. Teil einer freien Medienlandschaft ist auch die Freiheit aller, mit Medienvertretern zu kommunizieren oder eben nicht. Bei Dreyer liegt die Sache anders: Sie ist Ministerpräsidentin in einem Land, in dem die AfD in den Landtag einziehen könnte. Sie muss sich anderen Meinungen stellen. Sie muss sich dem politischen Gegner stellen. Sie ist Politikerin, Landeschefin.
Es ist ihr verdammter Job, sich auch mit den dümmsten politischen Gegnern auseinanderzusetzen – zumindest dann, wenn eine relevante Anzahl an WählerInnen in ihrem Land sich diesen zugehörig fühlt. Das ist der Unterschied zwischen den beiden Fällen.
Die Gemeinsamkeit zwischen Trump und Dreyer ist die Facebookisierung des gesamten öffentlichen Diskursraums: Im sozialen Netzwerk, erreicht viele nur noch, was sie lesen wollen. Gerade rechtes Gedankengut verbreitet sich so äußerst schnell und scheint die Radikalisierung vieler zu beschleunigen. Man sieht in der Timeline die Falschmeldung über irgendeine Vergewaltigung durch Asylbewerber. Die anschließende Richtigstellung von Polizei und Staatsanwaltschaft erreicht den Leser nicht mehr. Zumindest nicht via Facebook. Es entstehen Parallelöffentlichkeiten. Wir bauen uns unsere Realitäten, wie sie uns gefallen. Und wie sie uns der Algorithmus von Facebook konstruiert.
Und nun findet das, wie die Beispiele Trump und Dreyer zeigen, in der öffentlichen Arena seine Fortsetzung. Wer mir nicht passt, mit dem rede ich nicht. Dem hör ich nicht zu. Den seh ich nicht.
Das ist fatal. Denn so zuwider einem die Meinung des anderen auch sein mag, so wichtig ist in einer funktionierenden Demokratie das Signal: Seht her, wir hassen uns, aber wir reden miteinander und schlagen uns nicht gegenseitig die Fresse ein. Die Domestizierung aller am politischen Diskurs und Prozess Beteiligten ist eine große Errungenschaft moderner demokratischer Gesellschaften. Sie wird aufs Spiel gesetzt, wenn wir uns gegenseitig nicht mehr beachten.
27 Jan 2016
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