taz.de -- Kommentar Olympia-Votum in Hamburg: Feuer aus, Flamme auch

Hamburg hat gegen die Sommerspiele 2024 gestimmt. Das zeigt, in welcher Glaubwürdigkeitskrise der olympische Sport steckt.
Bild: Bestürzung unter den Olympia-Befürwortern am Sonntag in Hamburg

Sportlich fair gaben sich die Verlierer. Als eine demokratische Entscheidung, die ohne Wenn und Aber akzeptiert werden müsse, bezeichnete etwa Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), [1][das bindende Votum der Hamburger vom Sonntag], sich nicht für die Sommerspiele 2024 zu bewerben.

Mit Demokratie hatte das Abstimmungsverfahren allerdings nur wenig zu tun. Zu ungleich war das Kräfteverhältnis zwischen den von Politik, Wirtschaft und Medien unterstützten Olympiabefürwortern und der ohne institutionelle Hilfe agierenden Gegnerschaft.

Möglicherweise hat aber auch genau dieser bevormundend wirkende Wahlkampf die Gräben des Misstrauens weiter vertieft. Auch in [2][München], als es um die Bewerbung für die Winterspiele 2022 ging, gewannen am Ende die deutlich schlechter aufgestellten Olympiagegner. Die Sympathien lagen am Ende auf Seiten des vermeintlichen Underdogs. In der Welt des Sports kennt man dieses Phänomen eigentlich nur zu gut.

Wie ideologisch überhöht die Debatte um das weltweit größte Sportereignis geführt wird, konnte man den ersten Reaktionen entnehmen. Von einer „Wahnsinnschance“, einer „Jahrhundertchance“, einer „tollen Entwicklungschance“ sprachen die enttäuschen Olympiabefürworter, um die sich die Hamburger gebracht hätten.

Hörmann resümierte: „Unserem Land entgeht damit leider die Chance auf das weltweit größte Fest – eines der letzten großen ´Lagerfeuer` wird nur über den Bildschirm aus anderen Ländern wahrzunehmen sein.“

Misstrauen gegenüber dem IOC

Derartige wirklichkeitsfremde Lagerfeuerromantik verdeutlicht einmal mehr, in welcher Glaubwürdigkeitskrise der olympische Sport steckt. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben vielen Menschen das Misstrauen gelehrt, wenn mit der Ausrichtung olympischer Spiele rosige Zukunftsversprechen verknüpft werden. Gewonnen hat meist nur der IOC.

Mit der Reformagenda 2020, die das Internationale Olympische Komitee auf den Weg gebracht hat, wollten die Sportfunktionäre auf diese Entwicklung eigentlich reagieren. Mit der Betonung von Nachhaltigkeit, Transparenz und Kosteneffizienz beabsichtigte man, der wachsenden Verdrossenheit über die zügellose Kommerzialisierung von Olympia entgegenzuwirken. Die Hamburger Bewerbung war als Verkörperung dieses Reformpakets angepriesen worden.

Insofern war das Referendum auch eine lokale Abstimmung über die Agenda 2020. Die Hamburger trauten den Bekundungen des IOC nicht über den Weg. Zu offenkundig war in vielen Bereichen der kosmetische Charakter der Änderungsvorschläge. Am Grundprinzip – die Risiken trägt der Gastgeber, der IOC fährt garantierte Gewinne ein – wollten die Profiteure nicht wirklich rühren.

Die Flüchtlingsproblematik und die Terroranschläge von Paris verringerten womöglich obendrein bei vielen die Bereitschaft, für die Investition von Milliarden für ein Sportereignis zu stimmen. Immerhin hatten sich in einer im März veröffentlichten Forsa-Umfrage noch 64 Prozent für die Sommerspiele ausgesprochen. Am Sonntag waren es lediglich 48,4 Prozent.

Der kausale Zusammenhang zwischen der politischen Großwetterlage und dem Hamburger Votum sollte aber auch nicht allzu hoch eingeschätzt werden. In München stimmten die vorab durchgeführten Umfrageergebnisse die Olympiafreunde auch stets hoffnungsfroh. Als es jedoch darauf ankam, ließen sich die Gegner wesentlich leichter mobilisieren als die Befürworter.

Ergebnis sportlicher Monokultur in Deutschland

Es wäre aber auch irreführend, das Hamburger Abstimmungsergebnis allein als Ausdruck einer allgemeinen Enttäuschung mit dem verruchten Sportsystem zu werten – als eine Folge der Dopingskandale in der Leichtathletik und der Korruptionsskandale im Weltfußballverband und im Deutschen Fußball-Bund. Viele Interpreten legen diese Schlussfolgerung in ihren ersten Analysen nahe.

Hätte man jedoch die Bürger darüber entscheiden lassen, ob sich Deutschland für die Ausrichtung der Fußballeuropameisterschaft 2024 bewerben soll, die positiven Ergebnisse wären wohl in jeder Stadt nahezu unabhängig von den zu leistenden Kosten überwältigend gewesen. Das Olympiavotum von Hamburg ist auch ein Ergebnis, das aus der sportlichen Monokultur in diesem Land erwachsen ist. An dieser Beschränktheit wird sich in den nächsten Jahren erst einmal nicht viel ändern. Das kann man auch bedauern.

30 Nov 2015

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AUTOREN

Johannes Kopp

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