taz.de -- Rechtsextreme Einstellungen: Die hässliche Trendwende

Forscher konstatierten bundesweit einen Rückgang rechtsextremer Einstellungen. Nun legt Thüringen einen Schwenk hin – und ist damit nicht allein.
Bild: Will es schaffen: Bodo Ramelow bei seiner Regierungserklärung im Landtag.

BERLIN taz | Der Appell ist deutlich. „Es gibt keine Alternative zum ‚Wir schaffen das‘“, ruft Bodo Ramelow am Donnerstag in den Thüringer Landtag. Ja, der Flüchtlingszuzug sei die größte Herausforderung seit der Wiedervereinigung. Aber sie biete auch eine Chance: den Abschied von der schrumpfenden Gesellschaft im Land. Deshalb, so der Linken-Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung, brauche es „Mut zum Wachstum“.

Ramelows Appell ist eine Reaktion auf eine neue Umfrage, den Thüringen-Monitor. Die konstatiert eine bedenkliche Trendwende. Wissenschaftler hatten in den letzten Jahren eine stete Abnahme rechtsextremer Einstellungen konstatiert. Ursache sei die gute Wirtschaftslage, dies „stabilisiere“ die gesellschaftliche Mitte.

Nun legt Thüringen eine Wende hin. Laut der Monitor-Umfrage stieg die Zahl der rechtsextrem Eingestellten zum Vorjahr von 17 auf 24 Prozent. 70 Prozent der Befragten lehnten auch eine „großzügige Prüfung von Asylanträgen“ ab. 55 Prozent erklärten, die Flüchtlinge seien gar nicht verfolgt.

Aktuelle Zahlen aus anderen Ländern liegen nicht vor. Thüringen ist aber wohl kein Einzelfall. Die Uni Leipzig hatte erst im Frühjahr einen Ländervergleich erstellt. Dort lagen bei ausländerfeindlichen Einstellungen vor Thüringen noch Sachsen-Anhalt, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern. Knapp folgten Brandenburg und Sachsen. Und dies, obwohl in all diesen Ländern – mit Ausnahme von Bayern – Migranten weniger als drei Prozent der Bürger ausmachen.

Am Donnerstag stellte zudem der „Mediendienst Integration“ einen starken Anstieg von Angriffen auf Asylunterkünfte fest: Spitzenreiter sei Sachsen mit 126 Vorfällen, gefolgt von NRW (59) und Bayern (36).

Benachteiligung und Enttabuisierung

Die Autoren des Thüringen-Monitors, Wissenschaftler der Uni Jena, sehen für den Schwenk zwei Gründe. So fühlten sich in Thüringen immer noch gut die Hälfte der Befragten als Ostdeutsche benachteiligt und „Bürger zweiter Klasse“. Dieses Gefühl, so die Autoren, sei „keine gute Voraussetzung für eine ‚Willkommenskultur‘“ und sei der „wirkungsmächtigste“ Beschleuniger rechtsextremer Einstellungen.

Zum anderen schlage sich die politische Debatte nieder. Schon 2011 gab es einen sprunghaften Anstieg rechtsextremer Einstellungen in Thüringen – inmitten der Sarrazin-Debatte. Die Forscher konstatierten eine „Enttabuisierung“ weit rechter Positionen. Eine solche finde nun in der Flüchtlingsdebatte erneut statt – diesmal verbunden mit einer „Entfremdung“ gegenüber der regierenden Politik.

Entscheidend ist also, wie die Politik nun reagiert. Ramelow wirbt am Donnerstag für eine offensive Aufnahme von Flüchtlingen: Dies biete Thüringen „große Chancen“, sichere Fachkräfte und Renten. Andere schlagen den umgekehrten Weg ein. Die CDU-Regierungschefs von Sachsen und Sachsen-Anhalt, Stanislaw Tillich und Reiner Haseloff, fordern mehr Härte in der Asylpolitik und eine Obergrenze für Flüchtlinge.

26 Nov 2015

AUTOREN

Konrad Litschko

TAGS

Bodo Ramelow
Schwerpunkt Thüringen
Rechtsextremismus
Flüchtlinge
Umfrage
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Schwerpunkt Rassismus
Rechtsextremismus
Rechte Gewalt
Staatsanwalt

ARTIKEL ZUM THEMA

Flüchtlingspolitik der CDU: Nicht ohne Integrationspflicht

Wenn Migranten Sprachkurse ablehnen, sollen ihnen nach dem Willen der CDU künftig Leistungen gekürzt werden. Auf dem Parteitag soll das beschlossen werden.

Flüchtlinge in Deutschland: Länderbehörden zählen 945.000

Etwa 330.000 Menschen haben 2015 formal einen Asylantrag gestellt. Die Kommunen fordern für die Flüchtlingshilfe mehr Geld von Bund und Ländern.

CDU-Bürgermeister nach Hetze abgewählt: „Wir müssen unser Land verteidigen!“

Nach rassistischen Facebook-Kommentaren stand Herbert Miche in der Kritik. Nun wurde er als Bürgermeister der Gemeinde Walkenried abgewählt.

Razzia bei Rechtsextremen in Thüringen: Party, Politik und Business von rechts

Die Polizei durchsuchte eine rechte Gaststätte bei einem Kader in Kloster Veßra. Der ist gut vernetzt und lässt sich nicht einschüchtern.

Debatte Rechtsextreme Gewalt: Wut sucht sich leichte Opfer

Gewalt gegen Flüchtlinge hat nur oberflächlich mit Flüchtlingen zu tun: Gastbeitrag des Leiters der JVA Zeithain in Sachsen.

Ökonazis im Wendland: Jung, naturverbunden, rechts

Viele Neonazis verwirklichen ihre Aussteigerfantasien im Wendland und engagieren sich für Naturschutz. Einige Nachbarn stört das, aber längst nicht alle.

Mordprozess: Tatmotiv: politische Gesinnung

Für die Ankläger ist die rechtsextreme Haltung des mutmaßlichen „Maschsee-Mörders“ unerheblich. Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt kritisieren das.

Fußballer mit Hakenkreuz-Tattoo: „So etwas geht nur in Sachsen“

Ein Betreuer von Roter Stern Leipzig engagierte sich gegen einen Fußballer mit Hakenkreuz-Tattoo. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft – gegen ihn.