taz.de -- AfD vor Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: Stimme des Volkszorns

Der AfD-Landesparteitag wählt André Poggenburg zum Spitzenkandidaten. Der hat gute Kontakte zur neuen Rechten und den Ultrakonservativen.
Bild: Während einer Kundgebung in Magdeburg: der AfD-Spitzenkandidat (r) und sein Genosse Björn-Höcke (l)

DESSAU taz | Warten auf André: Die erste Dessauer Demonstration gegen „Politikversagen und Asylchaos“ läuft bereits, aber der sachsen-anhaltische AfD-Landesvorsitzende André Poggenburg ist noch nicht eingetroffen. Es geht eher familiär zu unter den kaum 250 Teilnehmern. Die obligatorischen „Merkel muss weg“-Rufe müssen die Organisatoren noch mit ihnen üben. Der Journalist wird scherzhaft aufgefordert, eines der wenigen Plakate zu tragen. Später wird die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry die Demonstranten sogar bitten, „Lügenpresse“-Rufe und andere Hassausbrüche zu unterlassen.

Dann erscheint endlich der Landeschef, den der Landesverband drei Tage später zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahlkampf 2016 wählen wird. Poggenburg passt in diese Atmosphäre, plaudert mit jedermann, gibt sich leutselig gegenüber den Medien. Der selbständige Apparate- und Behälterbauer wirkt wie eine Mischung aus bodenständigem Handwerker und Politaufsteiger.

Bei seiner erfolgreichen Bewerbung für den AfD-Bundesvorstand im Juli wollte er ausdrücklich die „nichtakademischen und beruflich selbständigen Mitglieder“ vertreten. Er trägt keinen extravaganten langen Ledermantel oder breitkrempigen Hut wie manche Pegida-Nationalisten, sondern ist eher bieder durchschnittlich gekleidet.

Poggenburg erscheint anders, als man es von einem Mann erwartet, der erklärtermaßen dem Thüringer Ultrakonservativen Björn Höcke nahesteht und mit ihm die Erfurter Erklärung vorbereitet hat, die zum Fall von Exparteichef Bernd Lucke beitrug. Nicht wie einer, der nach Aussagen seiner Gegner alle innerparteilichen Konkurrenten im konfusen Landesverband kaltgestellt hat. Bestens vernetzt in die Neue Rechte ist Poggenburg, nahm im Mai kurz nach dem Brandanschlag auf das geplante Asylbewerberheim in Tröglitz vor Ort an einer Veranstaltung des Compact-Chefredakteurs Jürgen Elsässer teil.

Wie Höcke musste auch er sogar einen Rüffel der Bundesvorsitzenden Frauke Petry einstecken, weil beide der NPD allzu viel Verständnis entgegenbrachten. Nicht alle Mitglieder der Partei seien Extremisten, meinte Poggenburg hinsichtlich seiner Erfahrungen im Kreistag des Burgenlandes. Kontakt zu den Kommunalpolitikern der NPD ergebe sich aber nur aus der zwangsläufigen gemeinsamen Anwesenheit in Kreisgremien und keinesfalls aus inhaltlicher Zusammenarbeit, wie er nun betont.

Er kann Kreide fressen

Der Landesparteitag nominierte den 40-Jährigen am Sonntag mit 88,3 Prozent der Stimmen offiziell zum AfD-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im März 2016. Drei Tage zuvor in Dessau war die Bundesvorsitzende Frauke Petry noch der Frage ausgewichen, ob sie Poggenburg für einen geeigneten und vor allem integrationsfähigen Spitzenkandidaten hält. Die AfD sei eine Partei und man unterstütze besonders im Wahlkampf jeden Landesverband, sagte sie.

Wohl wissend, dass es sich beim Verband Sachsen-Anhalt um ein ausgesprochenes Sorgenkind handelt: Vor allem personell ging es seit der Gründerzeit Ende 2013 drunter und drüber. Die Namen der zwischenzeitlichen Landesvorsitzenden Michael Heendorf und Arndt Klapproth fehlen auf der am Sonntag beschlossenen Landesliste. Von einer „schweren Vergangenheit“ spricht auch Poggenburg und erinnert angesichts der Grabenkämpfe daran, dass er durch demokratische Mehrheitsentscheidungen an die Landesspitze gelangt sei.

Sein politisches Interesse sei in der Vergangenheit von keiner Partei bedient worden, bis „urplötzlich“ die eurokritische AfD als die „richtige“ aufgetaucht sei, sagt der Chef des Landesverbands.

Wer ihn reden hört, ahnt, warum man auf ihn setzt. Der Kandidat kann auch Kreide fressen. Geschickt würzt er die Attacken mit Lob für die „Assimilierten mit ehemaligem Migrationshintergrund“, die Deutschland bereichert hätten. Schon in den vergangenen Wochen hatte er sich um Distanz zur NPD, aber auch zu einem Parteifreund bemüht, der im Netz offen zum Mord an Förderern der „Völkerwanderung“ aufgerufen hatte.

Das gesunde Maß

Doch beim genauen Hinhören bleiben die Botschaften Poggenburgs eindeutig. Sie richten sich an die „zutiefst verletzte Volksseele“ und gegen das „grüne Pack“, die „Kartellparteien“. Das deutsche Volk müsse wieder „Herr im Hause“ werden und die „unkontrollierte Masseneinwanderung“ beenden. Das Landtagswahlprogramm der AfD könnte deutschnationaler nicht sein. Deutsche Geburten mit Geld stimulieren, im Schulunterricht preußische Tugenden propagieren, Museen auf Heimatliebe verpflichten.

Im Gespräch sagt Poggenburg, viele wüssten gar nicht mehr, was eigentlich deutsch sei. Ja, aus sich heraus starke Kulturen würden auch Einwanderung überstehen – aber für alles gäbe es ein gesundes Maß.

Mit der forcierten Demonstrationswelle in größeren Städten Sachsen-Anhalts zielt man nicht nur auf die Landtagswahl, bei der Poggenburg 10 Prozent der Stimmen erwartet. Die AfD will auch die hier schwach ausgeprägte Pegida-Funktion übernehmen und das Volksgrummeln kanalisieren. Anders als die NPD will man dabei nicht vor Flüchtlingsunterkünften demonstrieren, weil nicht deren Bewohner schuld am deutschen Elend seien, sondern die Politik.

Wenig geschockt zeigt sich Poggenburg, dass Unbekannte in der vergangenen Woche bei einem Einbruch seinen Wohn- und Betriebshof in Stößen verwüstet haben. Er selbst vermutet, dass die Tat einen politischen Hintergrund hat. Für Poggenburg sitzen die geistigen Brandstifter bei „Rot-Grün“ – und die CDU schließt er darin fast schon ein.

3 Nov 2015

AUTOREN

Michael Bartsch

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