taz.de -- Kritik an Pestizidwirkstoff Glyphosat: Die Industrie protestierte

Monsanto versucht die WHO zu diskreditieren. Die Forscher hatten Pestizid als „wahrscheinlich krebserregend“ beurteilt. Diese kontern.
Bild: Die EU-Zulassung für Glyphosat läuft Endes des Jahres aus

BERLIN taz | Tumorforscher der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben Kritik daran zurückgewiesen, dass sie den Pestizidwirkstoff Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft haben. Der Toxikologe Ivan Rusyn, der den am meisten verwendeten Unkrautvernichter gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern für die WHO-Krebsagentur IARC bewertet hatte, sagte, seine „Arbeitsgruppe hat sich alle Daten angeschaut, die verfügbar waren“. Das ausführliche Quellenverzeichnis, das im Juli veröffentlicht werden solle, werde wohl mehr als 1.000 Einträge haben.

Die Forscher hätten etwa sämtliche zum Zeitpunkt der Überprüfung öffentlich zugänglichen Studien zur Entstehung von Epidemien im Zusammenhang mit Glyphosat berücksichtigt, ergänzte Christopher Portier, der als eingeladener Experte an den Beratungen der Arbeitsgruppe teilgenommen hatte.

Geringe Mengen Glyphosat werden regelmäßig in Lebensmitteln gefunden. Die Substanz wird auch in privaten Gärten, öffentlichen Parkanlagen oder an Bahngleisen benutzt. Besonders zugenommen hat der Glyphosat-Verbrauch weltweit, weil die meisten gentechnisch veränderten Pflanzen gegen den Stoff resistent sind.

Die IARC hatte die Einstufung Ende März in der Fachzeitschrift The Lancet bekannt gegeben – die Industrie protestierte sofort. Der wichtigste Hersteller, der US-Agrochemiekonzern Monsanto, warf den Forschern vor, sie hätten Studien weggelassen, die keine Risiken bewiesen hätten.

Unabhängige Experten

Agrarindustrie-Unterstützer versuchten auch, die IARC insgesamt zu diskreditieren. Die Wissenschaftler hätten ja sogar Kaffee, Mobilfunktelefone und Aloe-vera-Extrakte als ähnlich gefährlich eingestuft. Das dementierte Portier. Kaffee beispielsweise habe die IARC nur als „möglicherweise“ krebserregend bezeichnet. Das ist eine Stufe unter Glyphosat, bei dem die Belege so stark sind, dass die Fachleute die Krebsgefahr für „wahrscheinlich“ halten.

Rusyn bezeichnete die Einstufungen durch die IARC als „Gold-Standard“, unter anderem weil die Experten unabhängig seien. Doch Portier wird vorgeworfen, Aktivist der US-Umweltorganisation Environmental Defense Fund zu sein. „Das ist kein echter Interessenkonflikt“, antwortete er auf Anfrage der taz. Er arbeite zwar als Wissenschaftler für den Verband, aber nicht zum Thema Pestizide. Zudem habe er in der IARC-Arbeitsgruppe kein Stimmrecht gehabt, sondern sie nur beraten.

Die EU-Zulassung für Glyphosat läuft Endes des Jahres aus. Harald Ebner, Gentechnik-Sprecher der Grünen im Bundestag, forderte, sie nicht zu verlängern. „Solange der Krebsverdacht nicht widerlegt ist, muss Glyphosat aus dem Verkehr gezogen werden.“

10 Jun 2015

AUTOREN

Jost Maurin

TAGS

Landwirtschaft
WHO
Schwerpunkt Pestizide
Schwerpunkt Monsanto
Schwerpunkt Glyphosat
Schwerpunkt Glyphosat
Schwerpunkt Glyphosat
Landwirtschaft
Syngenta
Schwerpunkt Monsanto

ARTIKEL ZUM THEMA

Zulassung von Glyphosat: Blinde Flecken bei Pestizidprüfern

UN-Experten halten das Ackergift für „wahrscheinlich krebserregend“. Das zuständige Bundesamt hat mehrere Studien über das Mittel ignoriert.

Analyse durch UN-Wissenschaftler: Pestizid Glyphosat schädigt Erbgut

Die Chemikalie ist nicht nur „wahrscheinlich krebserregend“, sondern verändert auch das Erbgut, so Forscher der Weltgesundheitsorganisation.

Glyphosat in Muttermilch: „Wahrscheinlich krebserregend“

Stillen soll gut fürs Kind sein. Nun finden sich in der Muttermilch deutscher Frauen Rückstände des Unkrautvernichters Glyphosat.

Agrarbetriebe im Vergleich: Klein und trotzdem gemein

Das Kriterium Betriebsgröße taugt nicht, um einen Bauernhof zu beurteilen. Viele kleine Höfe quälen ihre Tiere, auch Große sind bio.

Bezahlte Anti-G-7-Demonstranten: Der Zombie von Seite Eins

Die meisten demonstrieren aus echter Empörung gegen den G7-Gipfel. Doch die Welthungerhilfe rekrutierte Schauspielerinnen für den Protest.

BASF gegen Monsanto: Kampf um Syngenta

BASF legt sich mit Monsanto an. Beide wollen einen „fairen Deal“ beim Bieten um den Schweizer Pflanzenschutzkonzern Syngenta.

G-7-Proteste in Bayern: Weit weg von Elmau – aber laut

Je näher man Schloss Elmau kommt, desto weniger Demonstranten sind es. In München aber gehen Zehntausende auf die Straße.

Mutmaßlicher Angriff auf Öko-Aktivistin: „Monsanto soll mich nicht schlagen“

Sofía Gatica engagiert sich gegen eine Monsanto-Anlage in Argentinien. Nun wurde sie nach eigenen Angaben von zwei Männern verprügelt.