taz.de -- Reiches Viertel: "Pankow wird zum Spekulationsobjekt"

Wolfgang Thierse, SPD-Politiker und selbst Bewohner des Prenzlauer Berg, freut sich über die vielen jungen, erfolgreichen Leute im Bezirk. Die zahlreichen Investitionen auswärtiger Kapitalanleger hält er jedoch für gefährlich
Bild: Der Platzälteste: Wolfgang Thierse kennt sich aus im Viertel rund um den Kollwitzplatz

taz: Herr Thierse, Sie wohnen seit knapp 30 Jahren am Kollwitzplatz. Ist die Miete für ihre Wohnung in der letzten Zeit sehr gestiegen?

Wolfgang Thierse: Nein. Da ich seit Ostzeiten in derselben Wohnung lebe, habe ich noch einen DDR-Mietvertrag. Alles, was es in der Wohnung an Installationen gibt, habe ich selbst angeschafft. Der Mietanstieg hält sich deshalb in Grenzen.

Da geht es Ihnen besser als vielen ihrer Nachbarn. In Prenzlauer Berg sind die Mieten in den vergangenen Jahren deutlich teurer geworden.

Wenn man neu hinzuzieht, wird man immer mit einer höheren Miete konfrontiert. Aber die Leute kommen trotzdem, weil Prenzlauer Berg, das alte Pankow und Weißensee so attraktive, angenehme Wohngebiete sind.

Wer nach Pankow zieht, muss auch ein gewisses Einkommen haben. Der neue Mikrozensus zeigt, dass die Menschen dort inzwischen im Durchschnitt fast so viel verdienen wie die im reichen Südwesten Berlins. Hat sich ihr Kiez sehr verändert?

Es ist viel saniert und restauriert worden. Ich kenne einige Professoren, die in meine Nähe gezogen sind. Auch Geschäftsleute sind gekommen, vor allem viele junge Menschen. Die sind noch nicht reich, aber gehen offensichtlich einer Erwerbstätigkeit nach und können sich eine Wohnung hier leisten.

Die Gutverdiener kommen, die Armen gehen. Führt das nicht zu einer sozialen Entmischung?

Das sehe ich nicht so. Sicher, viele Menschen sind an den Stadtrand gezogen, auch alte Bekannte von mir, einige Künstler. Ich bedaure sehr, dass manche das nicht ganz freiwillig getan haben, sondern wegen des Kostendrucks. Aber diejenigen, die durchgehalten haben, und davon kenne ich eine Menge, bei denen ist der Anstieg der Miete wie bei mir begrenzt. Und dass viele Jungen zuziehen, ist doch wunderbar. Man hätte den Prenzlauer Berg ja auch nicht unter eine Käseglocke stellen und ihn zu einem Museum sozialistisch-proletarischer Armut machen können. Zu erwarten, dass wir Ostdeutschen unter uns bleiben, wäre falsch und langweilig.

So sind nicht die Ossis unter sich, sondern die Jungen, Gebildeten, Erfolgreichen.

Man sieht durchaus auch arme Menschen in Prenzlauer Berg. Aber Stefan Heym hatte nicht recht, als er vor zwölf Jahren vom 'Armenhaus Prenzlauer Berg' sprach. Das war damals schon falsch und ist es heute erst recht. Dass das soziale Niveau insgesamt gestiegen ist, finde ich nicht schlecht. Das Problem ist doch ein ganz anderes.

Welches denn?

Eine zunehmende Anzahl von vermögenden Menschen außerhalb Berlins kauft sich Wohnungen in Pankow und nutzt sie als Kapitalanlage. Bei mir in der Nähe wird beispielsweise ein luxuriöses Haus errichtet. Bevor der Bau überhaupt begonnen hat, sollen schon die Anrufe aus New York gekommen sein: "Wir kaufen, egal, wie viel die Wohnung kostet." Dieser Mythos Berlin, der Mythos Prenzlauer Berg und Pankow ist weit in die Welt hinausgedrungen.

Was ist das Problem, wenn Auswärtige investieren?

Wenn ein Anleger beim Wohnungskauf beliebig viel bezahlt, dann will er das Geld nachher auch wieder herausbekommen. Er erhofft sich eine Rendite. Das treibt die Mieten auf erschreckende Weise in die Höhe. Pankow wird zum Spekulationsobjekt für Kapitalanleger. Das ist eine beunruhigende und gefährliche Entwicklung, die man bremsen muss. Alles, was an Instrumenten der Stadtpolitik zur Verfügung steht, muss man anwenden, damit sich diese Tendenz nicht noch verschärft.

11 Oct 2007

AUTOREN

Antje Lang-Lendorff

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