taz.de -- Kommentar EU-Vertrag: Europa braucht noch mehr Macht

Der Vertrag von Lissabon ist gut für die EU, aber auch gut für Deutschland. Denn gemeinsame Politik in Europa erschwert Lohn- und Steuerdumping.

Nein, die Union hat sich nicht geirrt. Genauso wenig wie SPD, FDP und Grüne. Es war richtig, den neuen EU-Vertrag im Bundestag zu ratifizieren. Die Arbeitnehmer haben nichts zu befürchten, obwohl die Linken raunen, die EU wolle das Lohndumping forcieren. Einmal mehr variieren sie den beliebten Topos, Europa sei ein Monster oder eine Krake. Zugleich bedienen sie eine verquere Form des Nationalismus, der auch jenseits des linken Spektrums weit verbreitet ist: Trotz Hartz IV glauben noch immer viele Bundesbürger, die soziale Marktwirtschaft existiere nur in Deutschland.

Dabei belegen alle Statistiken das Gegenteil: In keinem westlichen Industrieland steigen die Reallöhne so langsam wie in Deutschland. Ja, es gibt Lohndumping, aber es ist hausgemacht. Wer hat denn die Minijobs erfunden? Wer sperrt sich gegen Mindestlöhne? Doch nicht die EU. Bekanntlich gibt es in fast allen anderen Staaten längst eine Lohnuntergrenze. Es lenkt von den deutschen Problemen nur ab, jetzt die Panik vor Europa zu schüren.

Überhaupt ist zu bedauern, dass Europa nicht noch mehr Kompetenzen hat. Vor allem die Steuern müssten sofort harmonisiert werden, um endlich die Länderkonkurrenz um die niedrigsten Steuersätze zu beenden. Auch die Bundesregierung beteiligt sich eifrig an diesem Wettlauf: Bei allen Reformen - ob bei der Unternehmens- oder bei der Abgeltungssteuer - hat sie immer auf die niedrigeren Sätze im Ausland verwiesen. Dieses europaweite Steuerdumping kostet Milliarden und nutzt nur wenigen: Für Spitzenverdiener und Firmenbesitzer ist es ein nettes Geschenk.

Man muss keine Angst vor Europa haben, wie ausgerechnet auch jener Vorfall zeigt, der bisher die größten Ängste geschürt hat: die "Bolkestein"-Richtlinie von 2004. Die EU-Kommission stellte sich damals vor, dass Dienstleistungen überall zu jenem Preis angeboten werden könnten, der im Herkunftsland des Dienstleisters gilt. Lohndumping drohte. Prompt wurde europaweit demonstriert - mit Erfolg. Die Richtlinie wurde vom europäischen Parlament stark entschärft. Protest ist also möglich und jetzt noch leichter: Der neue EU-Vertrag hat die Rechte des Parlaments deutlich gestärkt. ULRIKE HERRMANN

25 Apr 2008

AUTOREN

Ulrike Herrmann

ARTIKEL ZUM THEMA

Bundestag billigt neuen EU-Vertrag: Ja zur kleinen EU-Verfassung

Donnerstag stimmte der Bundestag dem Lissabon-Vertrag zu - in dem Wissen, dass er die "zweitbeste Lösung" ist. Linke und Rechte wettern gegen die neue EU.

Klage gegen EU-Vertrag: Linke und Rechte gegen Lissabon

CSU-Politiker Peter Gauweiler und Linksparteiler Diether Dehm wollen gegen den Lissabon-Vertrag klagen. Damit, so die Kritik, würden zu viele nationalstaatliche Kompetenzen an EU abgeben.