taz.de -- Kommentar Attentate in Bombay: Zum Äußersten bereit

Die indische Regierung ist schnell mit Schuldzuweisungen. Dabei übergeht sie Probleme im eigenen Land: die grausame Diskriminierung der Muslime direkt vor den Augen des Staats.
Bild: Gezielter Angriff auf ein Wahrzeichen: das brennende Taj Hotel in Bombay.

Noch ist es völlig unklar, aus welchem Umfeld die Täter stammen, die das verabscheuenswerte Verbrechen von Bombay begangen haben. Doch Indiens Regierung ist sich auch ohne Beweise sicher: Die Täter können nur aus Pakistan stammen. Der Vorwurf mag sich letzten Endes als richtig erweisen; dennoch lenkt er vom eigentlichen Problem ab.

Denn in Indien selbst wächst eine Generation junger, gebildeter Muslime heran, die den Glauben an den indischen Staat verloren hat. Mehr noch: Manche der 140 Millionen Muslime Indiens sehen im indischen Staat einen Feind, gegen den jedes Mittel recht zu sein scheint. Zu sehr stehen sie unter dem Eindruck dessen, was fanatische Hindus in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten Muslimen angetan haben. Ende 1992 stürmten tausende Hinduextremisten eine Jahrhunderte alte Moschee im nordindischen Ayodhya und machten sie dem Erdboden gleich. Angestiftet wurden sie von fanatischen Hindugruppen und von hindunationalistischen Politikern. Anschließend kam es überall im Land zu Zusammenstößen zwischen Anhängern beider Religionsgemeinschaften.

In Bombay wüteten bewaffnete Hindufanatiker tagelang. Sie raubten, vergewaltigten und verbrannten Menschen bei lebendigem Leib. Die Polizei, in ihrer Mehrheit Hindus, schaute vielerorts tatenlos zu. Kaum einer der Mörder wurde jemals zur Rechenschaft gezogen.

2002 töteten Anhänger des fanatischen "Welthindurates" (VHP) im Bundesstaat Gujarat geschätzte 3.000 Muslime. Auch dort griff die Polizei nicht ein. Der damalige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi von der hindunationalistischen "Indischen Volkspartei" (BJP), soll die Taten gebilligt und seine Polizisten angewiesen haben, nicht einzuschreiten. Kurze Zeit später wurde er mit überwältigender Mehrheit im Amt bestätigt. Jetzt wird er als Kandidat für den Posten der Premiers bei den Wahlen im kommenden Jahr gehandelt. Auch die Mörder von 2002 wurden bis heute nicht belangt.

Die Attentatsserie von Bombay ist zutiefst abscheulich. Doch Indiens Regierung sollte endlich erkennen, dass einige wenige der 140 Millionen Muslime Indiens zum Äußersten bereit sind.

29 Nov 2008

AUTOREN

Sascha Zastiral

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