taz.de -- Israels Soldaten rekapitulieren Gazakrieg: "Wenn du nicht sicher bist, töte"
Sechs Monate nach dem Krieg im Gazastreifen resümiert eine israelische Initiative ehemaliger Soldaten ihre Front-Erfahrungen. Hauptthema: unproportionaler Gewalteinsatz.
Sechs Monate nach dem Krieg im Gazastreifen resümieren israelische Soldaten ihre Erfahrungen an der Front. "Um zu schießen, war keine Sondererlaubnis notwendig", heißt es in einem von der Initiative ehemaliger Soldaten diese Woche veröffentlichten Bericht. Die Untersuchung trägt den Titel: "Das Schweigen brechen". In den insgesamt 54 Zeugenaussagen von 30 Soldaten verschiedener Einheiten geht es zentral um die allgemeine Atmosphäre an der Front und den unproportionalen Gewalteinsatz. "Wenn du nicht sicher bist, töte", sagte einer der Soldaten.
"Es war einfach verrückt, wie da herumgeschossen wurde." In engen Wohngegenden "ist jeder dein Feind, da gibt es keine Unschuldigen". Fast alle Soldaten beschreiben die große ständige Bereitschaft zu schießen. "Das Gefühl war, wir sind hier zu töten, und keiner hat ein Problem damit." Kollateralschäden spielten demnach keine Rolle, solange die eigenen Verluste auf ein Minimum reduziert wurden.
Der 120 Seiten umfassende Bericht ist in Interviewform verfasst. Vor und während der Offensive standen die Soldaten unter strikter Schweigepflicht. Der Bericht hat nicht den Anspruch, "einen ausgewogenen und umfassenden Spiegel für alle Soldaten zu liefern", heißt es in der Presseerklärung von "Das Schweigen brechen", dennoch geht die Initiative davon aus, dass die Zeugenaussagen ausreichen, um die Glaubwürdigkeit der offiziellen Armeeversion von den Ereignissen während des Krieges in Gaza in Frage zu stellen.
Unmoralisches Verhalten von Soldaten sei "nicht die Ausnahme, sondern die Regel" gewesen, sagt der Bericht. Verteidigungsminister Ehud Barak hatte unmittelbar nach dem Krieg erklärt, die Armee habe alles unternommen, um Unschuldige zu schonen.
In Reaktion auf die Veröffentlichung des Berichts kritisierte Barak die Menschenrechtsinitiative für den Vorwurf, die Armee habe palästinensische Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht. "Jede Kritik an dem Verhalten der Armee sollte an mich als Verteidigungsminister gerichtet werden und an die Regierung, die der Armee den Auftrag erteilt hat, Frieden und Sicherheit im südlichen Israel wiederherzustellen."
Rund 1.300 Palästinenser sind während des Krieges getötet worden. Zwei Drittel von ihnen sollen, offiziellen palästinensischen Zahlen zufolge, Zivilisten gewesen sein. An zwei Stellen wird in dem Bericht der Einsatz von weißem Phosphor angesprochen. In keinem der beiden Fälle können aber die Soldaten bezeugen, ob sich Zivilisten in der Region aufhielten, noch werden konkrete Gründe für den Einsatz angeben. Amnesty International hatte den israelischen Gebrauch von weißem Phosphor noch während des Krieges angeprangert.
Die Stellungnahmen der Soldaten gehen auch wiederholt auf die Praxis ein, die Zivilbevölkerung per Flugblatt vorzuwarnen und zum Verlassen ihrer Häuser aufzufordern. Außerdem gab es Telefonanrufe und das sogenannte Anklopfen, bei dem aus der Luft zunächst auf die Ecken der Häuserdächer geschossen wird. Wer darauf nicht reagierte, galt als potenzieller Terrorist. "Gib ihnen ein paar Minuten, wer dann noch drin bleibt, ist ein toter Mann", resümiert einer der Soldaten.
Einige Soldaten berichten über den gezielten Vandalismus ihrer Kameraden und das Beschmieren von Hauswänden mit rassistisch-militanten Parolen. In anderen Fällen bedienten sich die Soldaten in den Küchen der Wohnungen, die sie besetzt hielten, mit Lebensmitteln. "Es gab keinen Grund dafür, die Vorräte der Familie zu nutzen", sagt einer der interviewten Soldaten, "aber wir waren über eine Woche dort, und das Essen der Armee ist widerlich."
Kollateralschäden spielten keine Rolle, solange die eigenen Verluste auf ein Minimum reduziert wurden
16 Jul 2009
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Die israelischen Soldaten, die jetzt - anonym - ihre Geschichten aus dem Gazakrieg erzählen, zeichnen ein düsteres Bild. Die Politik täte gut daran, diese Aussagen ernst zu nehmen.