taz.de -- Sieben Fragen an das Recht: Minarette verbieten – ist das erlaubt?

Die Schweizer verbieten Minarette in ihrem Land. Verstößt das Land damit gegen geltende Gesetze? Sieben Fragen und Antworten, zusammengestellt
Bild: Tabakfabrik in Dreden - in der Ästhetik einer Moschee nachempfunden.

1. Verstößt das Minarettverbot gegen die Schweizer Bundesverfassung?

Nein. Der Satz "Der Bau von Minaretten ist verboten" ist ja ab sofort Bestandteil der Schweizer Verfassung. Klagen vor Schweizer Gerichten haben deshalb keine Aussicht auf Erfolg.

2. Verstößt das Schweizer Minarettverbot gegen die Europäische Menschenrechtskonvention?

Vermutlich ja. Die Religionsfreiheit ist in Artikel 9 der EMRK garantiert. Dazu gehört auch die Freiheit, gemeinsam mit anderen öffentlich die Religion zu bekennen, zum Beispiel indem eine Moschee mit einem deutlich sichtbaren Minarett versehen wird. Außerdem verbietet Artikel 14 Diskriminierung aufgrund der Religion. Dies ist relevant, weil ja nur muslimische Minarette und keine christlichen Kirchtürme verboten wurden.

3. Darf der Bau von Minaretten gar nicht eingeschränkt werden?

Doch. Wenn das Baurecht eine bestimmte Mindesthöhe vorschreibt. In der Schweiz ging es aber nicht um Interessenausgleich, sondern um ein Verbot, mit dem ein Symbol des Islam generell aus dem öffentlichen Raum verbannt werden soll.

4. Wer kann den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen?

Eine Beschwerde in Straßburg kann nur von Betroffenen eingereicht werden. Klagen kann also zum Beispiel ein Moscheeverein, dem der Bau eines Minaretts verboten wird. Die Schweizer Grünen, die bereits den Gang nach Straßburg erwägen, können dagegen nicht klagen.

5. Wie lange muss auf eine Straßburger Entscheidung gewartet werden?

Das kann viele Jahre dauern. Eigentlich muss der nationale Rechtsweg in allen Instanzen durchlaufen werden, bevor man eine Beschwerde in Straßburg einlegt. Da aber der Bau von Minaretten schon in der Schweizer Verfassung verboten ist, könnte der Menschenrechtsgerichtshof eine direkte Klage in Straßburg zulassen. Doch auch dann braucht der überlastete Gerichtshof bis zu 5 Jahre für ein Urteil.

6. Kann der Gerichtshof die Schweizer Verfassung ändern?

Nein. Wenn er eine Verletzung der Menschenrechtskonvention feststellt, kann er den Klägern nur Schadenersatz zusprechen. Wenn die Schweiz sich aber beharrlich weigert, Urteile des Gerichtshofs zu beachten, könnte sie im äußersten Fall aus dem Europarat ausgeschlossen werden, dem insgesamt 47 Staaten, von Portugal bis Russland, angehören.

7. Müssen die vier in der Schweiz bereits bestehenden Minarette jetzt eigentlich abgerissen werden?

Nein. Der neue Verfassungssatz verbietet nur den Bau, nicht die Existenz von Minaretten.

30 Nov 2009

AUTOREN

Christian Rath

ARTIKEL ZUM THEMA

Reaktionen aus der islamischen Welt: "Das schönste Geschenk für Al-Kaida"

Nach den fünftägigen Bayram-Feiertagen reagiert die islamische Welt langsam, schockiert – aber auch besonnen. Ein Blick auf die Reaktionen zum Schweizer Minarett-Volksentscheid.

Minarettverbot in der Schweiz: Grüezi, Herr Muezzin

Die Zustimmung zum Minarettverbot legt einen ideologischen Riss innerhalb der Schweizer Bevölkerung offen. Die Mehrheit hat mit Ja gestimmt, aber wo ist sie?

Minarett-Verbot: Reaktionen auf reaktionäre Schweiz

Brüssel will sich nicht äußern, die islamische Welt reagiert eher gelassen. Rechtspopulisten wie die rassistische "Lega Nord" hingegen feierten den Ausgang der Schweizer Minarett-Abstimmung.

Kommentar Schweizer Volksentscheid: Kopftuch, Burka und nun das Minarett

Gegen Vorurteile hilft nur das offensive Gespräch, das verantwortungsvolle Politiker, Publizisten und europäische Muslime führen müssen.