taz.de -- Vorratsdatenspeicherung: Lehrmeister für Europa

Soll das Bundesverfassungsgericht den Fall beim Europäischen Gerichtshof vorlegen oder selbst entscheiden? Die Grünen und der AK Vorrat wollen, dass Karlsruhe den EuGH konsultiert.
Bild: Johannes Masing, Hans-Jürgen Papier (Vorsitz), Christine Hohmann-Dennhardt und Reinhard Gaier (von links) zu Beginn der Verhandlung am 15.12.2009.

Die Lage ist verzwickt. Weil die Vorratsdatenspeicherung auf einer EU-Richtlinie beruht, kann Karlsruhe sie nicht so ohne Weiteres kippen – selbst wenn die Richter dies wollten.

Die Zwangsspeicherung ist eben kein deutscher Sonderweg, sondern wurde von den 27 EU-Staaten gemeinsam beschlossen. Zwar könnte Karlsruhe Korrekturen bei der Nutzung der Daten vorschreiben, denn hier hat die EU den Mitgliedsstaaten relativ freie Hand gelassen. Doch die Kläger wollen mehr.

Sie halten schon die sechsmonatige Speicherung der Telekom-Verbindungsdaten für verfassungswidrig. Für die Überprüfung von EU-Rechtsakten ist jedoch nicht das Bundesverfassungsgericht, sondern der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zuständig.

Vier Möglichkeiten stehen dem Bundesverfassungsgericht nun offen. Wie sich Karlsruhe entscheidet, wird ein Musterfall für den Grundrechtsschutz in Europa.

Wenn die Richter es sich ganz einfach machen wollen, dann könnten sie die Klagen, soweit die Speicherung (und nicht die Nutzung) der Daten betroffen ist, für unzulässig erklären. Damit aber rechnet niemand. Falls die Richter die Speicherung für (noch) vertretbar halten, könnten sie dazu im Urteil Ausführungen machen und ansonsten strenge Regeln für die Nutzung der Daten aufstellen. Eine Vorlage an den EuGH wäre dann aus Karlsruher Sicht entbehrlich. Ein kleiner Übergriff in die Kompetenzen der Luxemburger Kollegen wäre das freilich schon.

Ein großer Affront wäre es dagegen, wenn das Bundesverfassungsgericht selbst die Speicherung für grundrechtswidrig erklärt. Dies hat gestern FDP-Mann Burkhard Hirsch vorgeschlagen und zwei mögliche Begründungen mitgeliefert.

So könnte darauf abgestellt werden, dass der Grundrechtsschutz durch den EuGH generell unzureichend sei und deshalb Karlsruhe einspringen muss. Oder Karlsruhe würde die Vorratsdatenspeicherung als rechtsstaatlich so gravierend einstufen, dass die Identität des Grundgesetzes in Gefahr wäre.

Beides ist nicht sehr überzeugend. Der EuGH macht im Großen und Ganzen gute Arbeit. Und wenn nur die Vorratsdatenspeicherung so schlimm ist, dann könnte man ja dennoch erst mal den eigentlich zuständigen EU-Gerichtshof darüber entscheiden lassen.

Die anderen Kläger – der AK Vorrat und die Grünen – plädierten deshalb gestern für einen vierten Weg. Danach sollte Karlsruhe dem EuGH den Fall zur Prüfung vorlegen – mit einer geharnischten Begründung natürlich, warum man in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig halte.

Meinhard Starostik vom AK Vorrat verwies auf das vielzitierte "Kooperationsverhältnis" beider Gerichte. Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck formulierte etwas undiplomatischer: "Es könnte keinen besseren Lehrmeister für den EuGH geben als das Bundesverfassungsgericht." Sollte Luxemburg der Karlsruher Linie folgen, hätte am Ende ganz Europa etwas davon. Bisher hat Karlsruhe jedoch noch nie eine Entscheidung dem EuGH überlassen.

Vielleicht kommt der Fall aber auch auf ganz anderem Wege zum EuGH. Das rumänische Verfassungsgericht hat vor wenigen Wochen ohne viel Federlesens die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. Andere Staaten wie Österreich, Schweden und Griechenland haben das Gesetz auch noch nicht umgesetzt. Hier drohen Vertragsverletzungsverfahren durch die Kommission, die letztlich in Luxemburg landen werden.

16 Dec 2009

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Christian Rath
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