taz.de -- Nach Hackerattacke: Google erwägt Rückzug aus China

Offenbar verdächtigt Google Chinas Behörden, einen Hackerangriff auf Google-Mailaccounts verübt zu haben. Man wolle sich nicht mehr der Zensur beugen und erwägt gar den Rückzug, erklärt der Konzern.
Bild: Blumen für die Kehrtwende: Ein chinesischer Google-User will der Firma in Peking mit Rosen zur neuen Linie gratulieren.

PEKING/MOUNTAIN VIEW dpa | Google droht mit seinem Rückzug aus China. Der Internetkonzern will sich nicht länger der chinesischen Zensur beugen und nimmt dafür sogar einen Abzug aus dem größten und am schnellsten wachsenden Internetmarkt der Welt in Kauf.

Auslöser der Kehrtwende sind nach Angaben von Google massive Hacker-Angriffe aus China, der Diebstahl von Programminformationen sowie die zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit im chinesischen Internet. Internationale Bürgerrechtsgruppen begrüßten die Entscheidung am Mittwoch als einen mutigen Schritt zum Schutz der Internetfreiheit und der Menschenrechte.

"Wir haben entschieden, dass wir nicht länger bereit sind, unsere Suchergebnisse auf Google.cn zu zensieren", schrieb Googles [1][Chefjustiziar David Drummond im Firmenblog]. Der Konzern wolle in Gesprächen mit den Behörden klären, ob die lokale Suchmaschine ohne Zensur betrieben werden kann.

"Wir sind uns bewusst, dass dies bedeuten kann, dass wir die Website Google.cn und möglicherweise auch unsere Büros in China schließen müssen." Die Angriffe, die Überwachung und die Versuche im vergangenen Jahr, die freie Meinungsäußerung in Chinas Internet weiter zu begrenzen, veranlasse Google, sein China-Geschäft auf den Prüfstand zu stellen.

Bei den Hacker-Angriffen aus China sind nach einem Bericht des Wall Street Journals wichtige Quellcodes gestohlen worden, mit denen potenziell Zugang zu anderen Daten gewonnen und Sicherheitsmängel identifiziert werden können. Google sprach nur vage vom "Diebstahl geistigen Eigentums" und einem "hoch raffinierten und gezielten Angriff auf unsere Unternehmensstruktur, der aus China kam".

Es seien ähnliche Angriffe auf mindestens 20 weitere große Unternehmen in den Bereichen Internet, Finanzen, Technologie, Medien und Chemie entdeckt worden. US-Behörden hätten sich eingeschaltet.

Vorrangiges Ziel des Angriffs seien Email-Konten von chinesischen Menschenrechtsaktivisten gewesen. Doch sei das Ziel nach vorliegenden Erkenntnissen nicht erreicht worden. Die Angreifer hätten sich lediglich Zugang zu zwei E-Mail-Postfächern verschaffen und nur Kontoinformationen und Betreffzeilen der E-Mails einsehen können, nicht aber ihren Inhalt, berichtete Google.

Unabhängig davon sei entdeckt worden, dass Dutzende Konten von Nutzern, die sich für eine Verbesserung der Menschenrechte in China einsetzen, von außen regelmäßig überwacht worden seien. Dafür seien höchstwahrscheinlich Passwörter ausgespäht oder bösartige Programme benutzt worden.

Die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch begrüßte Goggles Vorgehen gegen die Zensur in China als "großen Schritt zum Schutz der Menschenrechte online". Chinas Regierung setze "massive finanzielle und personelle Ressourcen ein, um das Internet zu zensieren und Internetnutzer zu jagen und zu bestrafen, die Ansichten vertreten, mit denen die chinesische Kommunistische Partei nicht einverstanden ist".

Das amerikanische Center für Democracy and Technology (CDT), das sich für Bürgerrechte einsetzt, meinte: "Google hat einen mutigen und schwierigen Schritt für die Internetfreiheit zur Unterstützung fundamentaler Menschenrechte getan."

Vor vier Jahren hatte Google beim Start seiner chinesischen Suchmaschine massive Kritik einstecken müssen, weil es sich – wie andere Internet-Unternehmen – bereiterklärt hatte, seine Ergebnisse selbst zu filtern. Suchergebnisse zu politisch heiklen Themen wie die blutige Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens werden gefiltert. China gilt mit rund 340 Millionen Nutzern und seiner rapide wachsenden Wirtschaft als wichtiger Zukunftsmarkt, auch im Kerngeschäft von Google, der Internet-Werbung.

Google betreibt die weltweit meistbenutzte Suchmaschine, konnte sich aber in China nicht gegen die länger etablierte chinesische Suchmaschine Baidu durchsetzen können, deren Marktanteil nach eigenen Angaben im dritten Quartal 2009 auf 77 Prozent gestiegen ist. Der Betrieb von Baidu war am Dienstag ebenfalls durch einen Hacker-Angriff beeinträchtigt worden.

13 Jan 2010

LINKS

[1] http://googleblog.blogspot.com/2010/01/new-approach-to-china.html

TAGS

Schwerpunkt Überwachung
Schwerpunkt Überwachung
Schwerpunkt Überwachung

ARTIKEL ZUM THEMA

Chinakritiker unter Beobachtung: Hackerangriff auf Postfächer

Die Email-Konten von chinakritischen Yahoo-Usern sollen von Unbekannten gehackt worden sein. Tagelang konnten sie sich nicht einloggen. Yahoo will die Fälle nicht kommentieren.

Googles Streit mit China: "... ein toller Kerl"

Google riskiert, aus dem chinesischen Markt zu fliegen. Für kurze Zeit hatte der Konzern in China die Internetzensur ausgesetzt – die Folgen für den US-Konzern sind noch nicht absehbar.

Zensur und Überwachung: Chinas Cyberkrieg gegen die Welt

Seit Jahren betreibt China systematisch elektronische Spionage. Der Zweck: politische Gegner aushorchen und technologisch zum Westen aufschließen.

Nach Hacker-Angriff auf Google: China verteidigt die Zensur

Außer Google wurden noch weitere USA-Firmen von chinesischen Hackern attackiert. China pocht auf Einhaltung seiner Gesetze. Google erhöht derweil die Sicherheit seines E-Mail-Dienstes.

Iran-Flagge statt Eingabeschlitz: Chinesische Suchmaschine gehackt

Nach ihrem Angriff auf Twitter hat die so genannte "Iranian Cyber Army" den Datenverkehr der größten chinesischen Suchmaschine umgeleitet. Die Ziele der Aktionen sind unklar.

Kommentar Google: Ein Gigant poliert sein Image

Es ist längst überfällig, dass Google sich gegen die Zensurauflagen in China wehrt. Doch vermutlich geht es dem Internetkonzern nur um das eigene Image.