taz.de -- Kritik an Afghanistan-Äußerung: Bundespräsident Köhler tritt zurück

Bundespräsident Horst Köhler hat überraschend seinen Rücktritt erklärt. Er begründete dies mit den Reaktionen auf seine umstrittenen Afghanistan-Äußerungen.
Bild: Unerwarteter Schritt: Horst Köhler erklärt seinen Rücktritt.

BERLIN dpa/taz | Bundespräsident Horst Köhler hat am Montag als Bundespräsident seinen Rücktritt erklärt. Hintergrund sind umstrittene Äußerungen des Staatsoberhaupts über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan.

Die Unterstellung, er habe einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen befürwortet, entbehre jeder Rechtfertigung, sagte Köhler am Montag in Berlin. Das lasse den notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt vermissen.

Köhler sagte [1][in seiner Erklärung], er habe Bundesratspräsident Jens Böhrnsen (SPD) über seinen sofortigen Rücktritt informiert. Der Bremer Regierungschef übernimmt vorübergehend die Amtsgeschäfte, bis ein neuer Bundespräsident gewählt ist.

Der 67-jährige Köhler war Kandidat von Union und FDP. Er war am 23. Mai 2004 erstmals zum Staatsoberhaupt gewählt und fünf Jahre später bestätigt worden.

Köhler hatte Auslandseinsätze der Bundeswehr auch mit der Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen begründet und damit eine heftige Debatte ausgelöst. Später ließ er seine Äußerungen präzisieren. Ein Sprecher sagte in der vergangenen Woche, die Afghanistan-Mission sei nicht gemeint gewesen.

Bundeskanzlerin Merkel hatte am Freitag über eine Sprecherin deutlich gemacht, dass sie als eines der Verfassungsorgane der Bundesrepublik zu den Äußerungen des Verfassungsorgans Bundespräsident keine Stellung nehmen werde.

Von Politik und Medien weitestgehend unbeachtet hatte Köhler bereits am [2][22. Mai im Deutschlandradio Kultur] gesagt, Deutschland brauche einen Diskurs, wie in Afghanistan einerseits der zivile Aufbau machbar sei, und andererseits der Erwartung der Bevölkerung auf einen raschen Truppen-Abzug entsprochen werden könne. Die Soldaten kämpften dort für die Sicherheit in Deutschland auf der Basis eines UN-Mandats. Dann folgte seine umstrittene Äußerung (siehe Kasten).

Als Nachfolger ist unter anderem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Gespräch, der sich schon einmal Hoffnung auf das Präsidialamt gemacht hatte. Allerdings war er zuletzt gesundheitlich stark angeschlagen. Zu hören waren auch die Namen des noch amtierenden nordrhein-westfälischen Regierungschefs Jürgen Rüttgers sowie von Bundestagspräsident Norbert Lammert (beide CDU). Außerdem werden aus Unionsreihen Bildungsministerin Annette Schavan und die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer genannt.

Die niedersächsische SPD schlug die nach einer Alkoholfahrt als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zurückgetretene Margot Käßmann vor. Auch die gegen Köhler unterlegene SPD-Kandidatin Gesine Schwan könnte zum Kandidatenkreis zählen.

31 May 2010

LINKS

[1] http://www.bundespraesident.de/-,2.664352/Erklaerung-von-Bundespraesiden.htm
[2] http://www.dradio.de/aktuell/1191138/

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