taz.de -- Gay Pride und Politik: Karneval des linken Milieus
Beim Streit um Judith Butler geht es nicht um Rassismus in der queeren Community. Sondern um unterschiedliche Vorstellungen von Politik.
Dass sie den Preis am Ende nicht wollte, war den Verantwortlichen des Berliner CSD e. V. letztlich einerlei. In einem Punkt hat Judith Butler, die den Zivilcouragepreis jenes Vereins, der die hauptstädtische Christopher-Street-Day-Parade organisiert, zurückwies, völlig recht: Gut ist, dass jetzt eine Diskussion angestoßen wurde. Butler allerdings glaubt, nun sei das Thema des Rassismus auf der Tagesordnung der queeren Community gelandet. In Wahrheit aber geht es um Politikkonzepte, ja um das Politische überhaupt.
Butler nämlich lobpries den Transgenialen CSD als Alternative zum CSD am Brandenburger Tor. Der sei frei von Rassistischem, dort habe der Kommerzialismus nicht das eigentliche Dirigat - und dort kämen politische Manifestationen zum Ausdruck.
Jahr für Jahr wird in der linken Szene - auch in der taz -, kolportiert, dass der Kreuzberger CSD der politische, mithin relevantere sei. Der andere, viel größere hingegen sei ein Karneval ohne Sinn und Verstand. Dieser Befund verblüffte schon immer, in den vergangenen Jahren war er aber besonders ressentimentgesättigt. In dieser Wahrnehmung ist ein CSD nur dann politisch, wenn er das Bild von den schrillen, schrägen Schwulen und Lesben bedient, das mehr nach Underground als nach "gewöhnlichen Homosexuellen" schmeckt.
Ziehen wir eine Bilanz, die sich am politischen Output orientiert. Alle Reformprojekte zugunsten der Lebensbedingungen Homosexueller und Transsexueller sind nicht aus dem transgenialen Spektrum heraus initiiert oder erkämpft worden, sondern waren ein Resultat eines auf parlamentarische und institutionelle Lobbyarbeit setzenden Engagements. Verbesserungen innerhalb der Gewerkschaften, der Sozialverbände, der Verwaltungen (in denen die Feinarbeit an der Subventionierung non-heterosexueller Interessenverbände exekutiert wird), der Parteien wie der Medien sind durch verbunden-unverbundene Strategien in den Mainstream hinein bewirkt worden.
Was die Homos aus der Union mit denen in den Kommunalbehörden oder denen in der Linkspartei und den Gewerkschaften in dieser Hinsicht eint, ist nur und immerhin dies: alles gesetzliche und regelhafte Behindern von Lebenschancen von Homosexuellen und Anderssexuellen zu beseitigen. Das Gesetz zur eingetragenen Lebenspartnerschaft, die Abschaffung des Paragrafen 175, die Fülle von Verbesserungen im alltäglichen Detail (Tarifverträge, Antidiskriminierungsgesetz, in Gerichtsentscheidungen) - all diese (gelungenen oder noch bis zur rechtlichen Gleichstellung zu verwirklichenden) Topoi sind nicht nur nicht mit, sondern gegen das errungen worden, wofür der Transgeniale CSD steht.
Touristenfalle Kreuzberg
Der Unterschied, ein wenig schärfer formuliert: CSDs kümmern sich um Menschenrechte von Nichtheterosexuellen. Der Kreuzberger CSD hat zu allem höchstens eine Auffassung und nichts, schon gar nicht zu Besserungen irgendetwas beigetragen. Politik ist jedoch immer das, was aus dem Kampf um Einflüsse herauskommt - nicht das, was einer oder eine so vor sich hin meint. Insofern verdreht die Behauptung, der Transgeniale CSD sei der politische CSD im Ursinne des Anlasses - die Aufstände im New Yorker Homoviertel gegen mafiotisch-polizeiliche Razzien im Sommer 1969 -, die Dinge ums Ganze: Nie ging es um anderes denn um BürgerInnenrechte. Der Kreuzberger CSD ist allenfalls eine Touristenfalle - wenn auch eine besonders gemütvoll-karnevalistische.
Denn wer in einem Land wie der Bundesrepublik nicht in den Mainstream will, wer schon - wie die Zirkel und "Bündnisse" beim Transgenialen CSD - die Präsenz der Homos der Union für nachgerade rassistisch als solches hält, wer den Lesben- und Schwulenverband seiner akkuraten, nötigenfalls auch gegen Migrationsverbände interessierten Arbeit wegen schon für irgendwie faschistisch hält, hat sich vom Politischen allenthalben verabschiedet. Der und die wollen - in einem gramscianischen Sinne - nicht die Eroberung der mächtigen gesellschaftlichen Sphären, sondern nur identitär Recht behalten. Darin enthalten ist ein totalitäres Moment, charakteristisch für linke Politikkonzepte, die schon deshalb auf innere und äußere Militanz halten müssen. Denn was sollen sie auch sonst tun?
Im Bett mit der Hisbollah
Dass Butler den Daumen hebt für das Konzept der kleinteiligen Rechthaberei, war im Grunde nur folgerichtig. Sie, die in bürgerrechtlichen Kategorien weder denken kann noch will, favorisiert im Hinblick auf eine globale Perspektive Allianzen, an denen Homosexuellen nicht gelegen sein kann. Hisbollah und Hamas, dekretierte sie in einem Vortrag jüngst, seien für eine linke Perspektive freundlich zu veranschlagen. Organisationen, die gegen Elend und Armut kämpften und gegen die, wie sie sie sieht, zionistische Zumutung namens Israel stünden. Man muss Butler als populärste Theoretikerin zur Kritik der Heteronormativität unbedingt wertschätzen, aber als politische Analystin kommen ihre Interventionen einer Aufforderung zum Harakiri gleich. Im Praktischen schlug sich diese Haltung nieder, indem beim Transgenialen CSD immer wieder israelische Flaggen weggebissen wurden.
Unabhängig davon, dass dies Butler als Zivilcouragepreisträgerin hätte disqualifizieren können, waren und sind das Identitätsgesten der allerwohlfeilsten Art: Eine Spitzenkaderin des linken Jet-Sets spricht zu ihrer Gemeinde. Israel ist doof, der Kampf gegen Globalisierung und Neoliberalisierung und die grässliche Welt als solche: Man eint sich im Ungefähr-Proklamatorischen, also im Vorurteil. Politisch aber in einem queeren Sinne hat der Transgeniale CSD etwas Ignorantes: Der öffentliche Protest gegen das CSD-Verbot in Warschau vor einigen Jahren ging von jenem CSD aus, der jetzt als kommerziell und rassistisch verächtlich gemacht wird. Und: Legion sind die Diskussionen, die der CSD e. V. gegen Rassismus beförderte.
Butler nobilitierte mit ihrer Preisverweigerung den neolinken Weg einer religiös anmutenden Praxis: Man hat so seine Gebete, die "Forderungen" genannt werden - dass sie auch erhört werden, ist freilich so offen wie alles, was meckernd einer höheren Macht entgegengebellt wird. JAN FEDDERSEN
29 Jun 2010
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