taz.de -- Kommentar Staatsanwalt kritisiert Polizei: Polizei hat den Schuss nicht gehört
Im Prozess wegen der tödlichen Polizeischüsse kritisert die Staatsanwalt den Korpsgeist der Berliner Polizei.
Die Staatsanwaltschaft im brandenburgischen Neuruppin zeigt Mut: Sie spricht offen an, was bisher gern als Verschwörungstheorie staatsfeindlicher Spinner abgetan wurde.
Doch jetzt ist es offiziell: Laut den Erfahrungen der Ermittlungsbehörde herrscht unter Berliner Polizisten ein "berühmter Korpsgeist". Dieser habe dazu geführt, dass zwei Polizisten das Gericht anlogen. Die beiden Polizisten hatten versucht, dem Gericht weiszumachen, sie hätten die acht Schüsse nicht gehört, mit denen einer ihrer Kollegen einen Neuköllner tötete.
Das wirft eine Reihe von ernst zu nehmenden Fragen auf: Wie kann es dazu kommen, dass zwei Polizisten bei der Verschleierung eines potenziellen Totschlags mithelfen? Wie kommt es, dass Polizisten der Schutz ihrer Freunde und Kollegen wichtiger ist als die Verbrechensbekämpfung? In welchem Maße könnte man dem Korpsgeist durch eine bessere Auswahl und Ausbildung von Polizisten entgegenwirken?
Und noch etwas zeigt der Vorgang: Eine so scharfe Kritik der Berliner Staatsanwaltschaft an den Zuständen in der Polizei wäre kaum denkbar. Woran das wohl liegt? Entweder die Staatsanwaltschaft hat sich hier schon an den Korpsgeist gewöhnt und hält es für normal, dass Polizisten einander decken.
Oder man hält hier auf weiterer Ebene zusammen: eben nicht nur unter Polizisten, sondern auch zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft. Polizeipräsident Dieter Glietsch darf nun nicht - wie von seinem Justiziar angekündigt - abstreiten, dass es diesen Korpsgeist gibt. Die Polizei muss sich der Debatte stellen. Täter in Uniform dürfen sich nicht darauf verlassen können, dass sie ungestraft davonkommen.
29 Jun 2010
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
Im Prozess gegen den Todesschützen von Schönfließ beklagt der Staatsanwalt den "berühmten Korpsgeist der Berliner Polizei". Verteidiger wollen Freispruch.
Der Zivilfahnder Reinhard R. steht vor Gericht, weil er einen Kriminellen erschossen hat. Intern gilt er als leistungsstark, sein kalter Blick beeindruckt die Freunde des Getöteten.