taz.de -- Loveparade-Sponsor McFit: Wir programmieren um

Ich bin Mitglied in einem Studio des Loveparade-Sponsors McFit. Sind also meine 16,90 Euro im Monat mit Schuld am Tod von 21 Menschen? Und ich irgendwie auch?
Bild: Wenige Tage vor dem Loveparade-Unglück: Oliver Pocher (l.) und ein lachender Rainer Schaller.

Natürlich habe ich mir vorher überlegt, ob man einen Jahresvertrag mit einer Fitnessstudio-Kette abschließen darf, die die Loveparade sponsert. Wer ab und an Bio kauft und auch bei seiner Bank ein bisschen darauf achtet, dass sie nicht in jeder Bananenrepublik investiert, sollte schließlich nicht sein Geld irgendwelchen Menschen hinterherwerfen, die damit 17-Jährige aus der Provinz mit einfältiger Musik in Großstädte locken. Und sie damit dem moralischen Verfall preisgeben.

Aber, beruhigte ich mein Gewissen, als ich dann doch den Vertrag bei McFit abschloss: 16,90 Euro im Monat sind verglichen mit anderen Fitnessparks ja wirklich nicht viel Geld, das für kreisende Laster mit Lautsprechern verpulvert wird. Damals war es wenig wahrscheinlich, dass der Raverumzug wieder mal stattfindet. Und in Berlin hatte sich der jährliche Bums schon lange erledigt gehabt.

Knapp zwei Jahre später kämpfe ich gegen den Cross-Trainer, und mein Gewissen ist nicht mehr ganz so rein. Zwei Tage zuvor sind 21 Menschen von zu viel Liebe erdrückt worden. Und wenn "mein" Fitnessstudio die vermeintliche Supersause, die Duisburg vor dem Vergessen retten sollte, nicht mit ein paar Millionen gesponsert hätte, wäre das wohl nicht passiert. Sind also meine 16,90 Euro im Monat mit Schuld an 21 Toten? Und ich irgendwie auch?

In dem Ostberliner Studio, in dem ich zweimal die Woche trainiere, ist an diesem Abend kurz nach dem Unglück beste Stimmung. In vielerlei Hinsicht. Es trainieren ziemlich konzentriert ziemlich wenig Leute. Und nichts erinnert an die Tragödie von Samstag. Sogar die Musik und die Bildschirme sind ausgeschaltet. So ruhig ist es hier selten.

Auf den Bildschirmen - Fernseher wäre der falsche Ausdruck, denn McFit zeigt kein Fernsehprogramm, sondern hat einen eigenen "Kanal", der überwiegend mit Pleiten, Pech und Pannen-Spots aus den 90ern und den tollkühnen Performances von Bikern, Skateboarden und anderen Trendsportlern bestückt wird -, auf den Bildschirmen also lief noch vergangene Woche regelmäßig Werbung für die Loveparade. Wie mir erst jetzt klar wird, zeigte der Spot das Güterbahnhofsgelände in Duisburg, das sich nach und nach in eine pillenbunte Liebeslagerhalle verwandelt.

Sind die Bildschirme deswegen schwarz, weil die Kette mit über 100 Studios deutschlandweit verhindern will, dass vielleicht versehentlich noch ein alter Werbespot läuft? Immerhin zeigt man hier auch mal Meldungen von vergangener Woche.

Keineswegs, betont die Studioleiterin. Vielmehr würden die Kanäle gerade "umprogrammiert", das dauere noch etwas. Zufall? Oder eine Anordnung aus der Kommunikationsabteilung, die jede Verbindung zwischen McFit und der tödlichen Parade trennen will?

Man könnte auf den Bildschirmen ja auch eine Stellung- und Anteilnahme von McFit dazu zeigen. Ein paar Worte des Bedauerns vielleicht. Doch darauf ist die Kommunikationsabteilung offenbar nicht programmiert - ähnlich verhält sich auch der Gründer und Chef von McFit, Rainer Schaller, der gleichzeitig der Veranstalter der Loveparade ist/war: möglichst wenig sagen, möglichst raushalten.

Nach vierzig Minuten Kampf gegen den Cross-Trainer habe ich darüber genug nachgedacht und bin sauer. "Aber sicher gibt es eine Stellungnahme von McFit", sagt darauf angesprochen die Studioleiterin. Sie führt mich zu den "Terminals", drei Bildschirmen. Hier kann man sich ein Übungsprogramm zusammenstellen, auch mal Kritik verfassen und an Gewinnspielen teilnehmen. Und tatsächlich: Wer - wieso auch immer - auf "Infos" klickt, darf eine Stellungnahme lesen: "Die Menschen und Macher von McFit, dem Hauptsponsor der Loveparade, sind erschüttert und zutiefst betroffen von dem tragischen Unglück", steht da. Und: "Wir sind mit unseren Gedanken und unserem Mitgefühl bei allen Angehörigen und Freunden der Unfallopfer." Im Internet immerhin steht dies auf der McFit-Startseite.

"Aber natürlich", betont die Studioleiterin dann noch mal, habe man nichts mit dem Unglück zu tun - auch wenn der Chef derselbe sei. McFit sei eine ganz andere Firma und lediglich Sponsor gewesen. Es klingt einstudiert.

Aber so reden derzeit wohl alle, die die Loveparade nach Duisburg geholt haben.

29 Jul 2010

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Bert Schulz

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